Tagebuch der Götter
Würden Sie gerne auf diese Nachricht reagieren? Erstellen Sie einen Account in wenigen Klicks oder loggen Sie sich ein, um fortzufahren.

Tagebuch der Götter

Freies Forum- geschaffen für ein Privi.
 
StartseiteNeueste BilderSuchenAnmeldenLogin

 

 Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)

Nach unten 
2 verfasser
Gehe zu Seite : 1, 2  Weiter
AutorNachricht
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySo 26 Jun 2016 - 1:58

Mit einem zu einem schweren Seufzer unterdrückten Gähnen, rieb er sich die müden Augen. Mittlerweile musste er bestimmt dunkle Ränder befürchten, die sein blasses Gesicht besudeln würden. Aber an Schlaf zu denken, war unter den aktuellen Umständen zwar durchaus möglich, aber schwerlich umzusetzen. Ein weiteres Gähnen bahnte sich ziehend durch die Brust über die schmalen Lippen. Das Geräusch versickerte in dem dumpfen Knirschen, welches die Wagenräder der schweren Kutsche in die Nacht schickten, während sie sich ihren Weg durch den Schnee fraßen. Die hellen Augen blinzelten in das gedimmte Licht der Petroleumlaterne, die vom ständigen Wanken und Ächzen des schweren Reisewagens gepeinigt, ebenfalls nicht zur Ruhe kam und schemenhaft die Kabine in unregelmäßige Schatten hüllte. Trotz der weichen Polsterung der Sitzbänke, trotz schwerer Samtvorhänge, ausklappbarer Fußabtritte und anderen netten Annehmlichkeiten fühlte sich jede weitere Minute unangenehm an. Die Luft war schwer und stickig geworden, doch die anhaltende winterliche Witterung war bereits jetzt nur bekleidet auszuhalten. Sie waren bereits seit dem Morgengrauen unterwegs, hatten am frühen Mittag die Brücke erreicht, die das halbwegs urbane Gebiet mit dem Rest dieser gottlosen Gegend verband und dort dann erfahren, dass „Bis auf Weiteres gesperrt. Tut mir leid, Mylord. Brücke zu instabil. Witterungsschäden. Befehl ist Befehl. diese Fahrt um einen weiteren Tag verlängern würde. Jetzt waren sie den halben Tag auf dieser winzigen Küstenstraße, die sich zunehmend unkooperativer durch die Landschaft schlängelte. Er hatte sein letztes Mahl in einem stumpfen durchschnittlich mittelmäßigen Pub einnehmen müssen und war seither - ohne seinen Nachmittagstee! -  in dieser Kabine eingepfercht. Immerhin reiste man heute ohne Personal, weil man so schrecklich modern geworden war: wer brauchte schon mehr als einen Kutscher, wenn man seinen Cousin achten Grades mütterlicherseits besuchen musste, der unbedingt die Base dritten Grades des verschwägerten Earls heiraten musste. Eine Schande, dass sich dieser degenerierte irische Adel ebenfalls in die ehrbaren Familien des Königreiches einheiratete. Während ihm diese quälend trivialen Gedanken abermals durch den Kopf schwirrten und ihm die fehlende Brisanz dieses Unterfangens ein weiteres Gähnen entlockte, presste er seinen Hinterkopf gegen die Wand hinter sich. Die Lider fielen ihm zu, die Atmung ging flach und für einen Augenblick, breitete der Schlaf seine betäubende Schwärze über den Rand seines Bewusstseins aus. Eines der Pferde wieherte ungewohnt laut, ein Ruck ging durch die Kutsche – riss ihn aus dieser Dämmerung seines Geistes – dann zeugte ein Ächzen der Federung von abruptem Stillstand. Noch im Moment des Begreifens gefangen, wurde der Ermattete umso heftiger von dem ohrenbetäubenden Knall und dem kurz darauf folgenden dumpfen Aufprall überrascht. Reflexartig hob er die Arme über den Kopf, presste Augen und Lippen aufeinander und wandte das Gesicht ab. Das brachiale Splittern von Holz, das Geräusch als würde jemand mit gewaltigen Klauen den schwarzen Lack abkratzen und das Beben der Kutsche verebbten schließlich zu anhaltender Stille.
Erst der kratzende Drang in seiner Kehle, zwang ihn die unbewusst angehaltene Luft, aus zu husten und gierig zwischen den Zähnen wieder einzusaugen. Von dem dumpfen Pochen seines aufgeschreckten Herzens betäubte, wartete er noch einige wenige Augenblicke darauf, dass sein Gehirn wieder einsetzte. Was war geschehen? Konnte ein Wagenrad gebrochen sein? Oft genug hatte er von diesem Horror in den Reiseberichten seiner Standesgenossen gelesen. Fühlte sich dies etwa so an? Er konnte es nicht sagen. Warum hatte sich der Kutscher noch nicht gemeldet? Ja, warum hatte sich der Kutscher noch nicht gemeldet?! Während er wütend durch die Wand, die Kutschbock und Kabine verband, zu sehen versuchte, regte sich draußen absolut nichts. Was, wenn - ? Vorsichtig tastete seine rechte Hand nach dem Polster neben sich, riss es beiseite, schob sich in den dahinter verborgenen Raum, bis sie das kalte Metall berührte. Die dünnen Finger klammerten sich hilfesuchend an die schmale Waffe, fanden jedoch keinen Halt. Bedächtig zog er die Vorhänge auf, um statt einen Blick nach draußen riskieren zu können, wahrnehmen zu müssen, dass sich der niedergeschlagene Atem an den dünnen Scheiben, zu einem Geflecht aus Eiskristallen verwoben hatte. Ihm blieb also keine andere Wahl: Initiative zeigen. Ihm erschien dies als die letzte ihm verbliebene Möglichkeit. Mit der Rechten hob er die Waffe und mit der Linken drückte er auf die Klinke, stieß die Tür auf und – richtete den Lauf zitternd in gähnende Leere. Kalte Luft schlug nach innen, die Tür polterte gegen die Karosserie, Schnee wirbelte leicht auf. Nichts.
Der junge Adelige schluckte hörbar seine Nervosität herunter und spähte in die vom Schnee erhellte Nacht, dann kletterte er hinaus ins Freie. Die Nacht empfing ihn mit erbarmungsloser Kälte, während er den Lauf der Waffe gemeinsam mit seinem Blick schweifen ließ. Schnell erkannte er, warum die Kutsche angehalten hatte: ein gigantischer Baum, hatte sie unter sich begraben. Der vordere Teil des Wagens war zerschmettert und kahlen Äste griffen nach dem Wagen, wie die Hand eines Toten. Das helle Holz schimmerte weiß im fahlen Licht des Mondes. Der nächste Blick löste einen so starken Reiz in ihm aus, dass ihm auf unschöne Art das Mittagessen wieder gewahr wurde. Dem Kutscher war einer der Äste glatt zwischen den Augen hindurch gegangen und hatte sowohl das Gehirn, als auch des Kutschers Mütze an dem schwarzen Lack genagelt. Die zerkratzte Lackierung wurde bereits durch den dunklen Ton des Blutes kaschiert, ehe dieses kontrastfroh in den frischen Schnee tropfte. Mit bloßer Willenskraft riss er sich von dem Anblick fort, ehe ihn der fordernde Brechreiz übermannte. Er taumelte zurück, erkannte dabei, dass die gewaltige Krone die Zugpferde ebenfalls unter sich begraben hatte. Er hörte das leidende, panische Schnauben – gedämpft vom aufgewirbelten Schnee. Fiebrig ertasteten die Hände die glatte Außenwand der Kutsche, ihm wurde schwarz vor Augen...

Die klare nächtliche Kälte allein hatte ihn davon abgehalten die Kontrolle über sich und seine Sinne zu verlieren, hatte sich schneidend in seine Lungen gefressen. Ohne weiter zu zögern hatte er sich in die Kabine zurück gezogen, seinen schweren Mantel, Handschuhe, Zylinder und seinen Gehstock geholt. Dann hatte er die Kabine verschlossen und sich zu dem Wegweiser geschleppt, der  gespenstig hinter der Kutsche aus dem Boden ragte. Mit der Hand schützte er die Augen, als er den verwitterten Lettern entgegen blinzelte. Kurz fragte er sich, ob dieser Wegweiser nicht sein Verhängnis war, weil der Kutscher deswegen den Wagen angehalten hatte. Jetzt wies er ihm einen Weg zu einer klösterlichen Stiftung. Ein bitterer Fluch entwich in die Nacht. Das Schicksal schien in diesen Tagen wohl gehörig Sarkasmus an den Tag zu legen. Jetzt durfte er noch bei dem heiligen Allvater um Schutz ersuchen. Abgesehen davon, dass es vermutlich auch noch Katholiken waren. Ein müdes Seufzen strich über die schmalen Lippen. Es war ein Segen, dass der Schock noch zu schwer auf seinen Nervenbahnen saß und ihm diese absurde Rationalität ermöglichte. Das Leder seiner Handschuhe knirschte leise, als sich der Griff um den schmalen Schaft seines Stockes festigte. Im fahlen Mondlicht zeichnete sich die Mauern des Klosters schwarz gegen den Horizont ab. Es würde noch ein guter Marsch den Hang hinauf werden, durch die wilde Küstenvegetation, den dünnen, sich windenden Pfad hinauf. Das Meer rauschte an die Klippen und das Donnern der Brandung verfing sich mit dem Wind in den verdrehten Ästen der Bäume. Ein kalter Schauer jagte ihm über den Rücken, aber er konnte den Schatten nicht sehen, welcher sich aus der Lücke erhob, die der umgefallene Baum in die Baumgruppe geschlagen hatte.

Der Mond war hinter dunklen Wolkenfetzen verschwunden und mittlerweile hatte es begonnen zu schneien. Die weißen Flocken tänzelten im rauen Wind, der vom Meer landwärts brauste. Die dünne Gestalt, hatte den Kragen hochgeschlagen und den Zylinder tief in die Stirn gezogen, ihre violetten Lippen zitterten. Es waren keine Sterne mehr zu sehen, das dunkle Firmament hatte sie verschluckt. Er hatte einen eher flacheren Bereich erreicht, der sich vor dem Kloster erstreckte und in den der schmale Weg geführt hatte. Hier war der Schnee nicht so tief, dass er bis zu den Waden einsank. Es fehlten nur wenige Schritte, als irgendwo das Heulen eines Wolfes zu hören war. Es klang so gespenstig, dass sich jedes Härchen auf der Haut des Adeligen aufstellte. Er schauderte. Dann war es ihm, als würden ihn von weiter unten aus dem Unterholz riesige gelbe Augen begegnen. Den letzten Schritt stolperte er an das Tor. Ein schwerer Ring hing daran, den er vier Mal hob und geräuschvoll wieder fallen ließ. Das dumpfe Pochen am Tor erstarb im Wind der Nacht. Hatte er überhaupt Kerzenschein hinter einem der Fenster gesehen?
Ein ungutes Gefühl beschlich ihn, kroch langsam von seinen Füßen hinauf bis in seinen Nacken, sodass er sich im Affekt herum drehte, den Weg entlang spähte, den er gekommen war, die Augen zum sehen verengte. Eine kalte Vorahnung fraß sich in seinen Geist, suggerierte ihm, nicht allein hier draußen zu sein. Panisch richtete sich der Blick der hellen Augen in das Unterholz, fing sich an den gelben Punkten. Er versuchte sie weg zu blinzeln, doch sie blieben, sandten eine unheilvolle Botschaft. Und obwohl er bereits dachte gefroren zu sein, schüttelte er sich wie im Frost.
Es gibt keine Geister, mahnte er sich in Gedanken. Mit einer eleganten Bewegung hob er seinen Gehstock, griff ihn etwas tiefer und pochte diesmal damit an das schwere Tor, ungeduldig, fordernd, flehend?
Es gibt sie nicht! Und es hat auch nie welche gegeben....
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 28 Jun 2016 - 0:20

Ein Geräusch, das sich ganz klar vom Tosen der Wellen und vom Heulen des Sturms unterschied, ließ ihn aus seinen Gedanken hochfahren. Richard lauschte angestrengt gegen den Lärm der Naturgewalten. Hatte er nicht gerade eben ein Klopfzeichen vernommen? Nunmehr hörte er nichts Ungewöhnliches; der Innenhof des Klosters mit seinen uralten Umfriedungen lag in der klirrenden Kälte so verlassen da, wie Richard es gewohnt war. Nur das große Lagerfeuer, neben dem er an die raue Natursteinmauer gelehnt den Großteil seiner nächtlichen Wache verbracht hatte, warf mit seinem Flackern tanzende Schatten ringsumher.
Als Richard kurze Zeit nach seinem Eintritt ins Kloster im letzten Herbst zum ersten mal an der Reihe gewesen war, die Nachtwache zu übernehmen, hatten ihm die Schatten Furcht eingejagt. Wie tollwütige Phantome waren sie ihm damals vorgekommen. Doch nach jeder weiteren ereignislosen Nacht, die er mit Wachdienst im Freien verbracht hatte, war seine Anspannung weniger geworden. Wenn er dieser Tage mit der Nachtwache an der Reihe war, begnügte er sich meisten damit, in der wärmenden Nähe des Lagerfeuers zu verweilen, das die Mönche des Nachts am Rande des Innenhofs entfachten. Von dort aus hatte man nahezu den ganzen schneebedeckten Platz im Blick und konnte in Ruhe den eigenen Gedanken nachhängen, so wie Richard es gerne tat, wenn er an der Reihe war.
Hauptsache, seine Brüder konnten ruhig in dem Wissen schlafen, dass einer der Ihren Wache schob. Niemand sprach hier je darüber, was sie in ihrem frühen Leben getan hatten oder was sie dazu bewogen hatte, als Mönche in das Kloster einzutreten. Nicht wenige von ihnen waren, so vermutete er, gleich seiner selbst, vor irgendetwas oder irgendwem auf der Flucht gewesen, bevor sie dem Orden beigetreten waren, um vielleicht hier ihren Seelenfrieden zu finden. Der Orden des heiligen Cyprian von Antiochia schien, einer Fackel gleich, die Motten anlockte, solche Gemüter anzuziehen.
Wenig verwunderlich eigentlich, wenn man sich vor Augen führte, dass der Namenspatron ihrer Bruderschaft vor seiner Konvertierung zum Christentum der Legende nach ein dunkler Hexer gewesen sein sollte. Zu seiner Zeit, hieß es, sei er berüchtigt dafür gewesen, beschworene Dämonen einzusetzen, um seine Ziele zu erreichen. Erst, als er seine finsteren Diener aussandte, um eine junge Christin mit Namen Justina in seinen Bann zu ziehen, stießen seine Zauberkräfte an ihre Grenzen. Mit der Macht ihres Glaubens soll Justina den Dämonen standgehalten und Cyprian zum Christentum bekehrt haben. Böse Zungen allerdings behaupteten, dass Cyprian die dunklen Kräfte auch nach seiner Weihe zum Bischof von Antiochia weiterhin praktiziert habe.
Richard wollte sich gerade wieder entspannen, da vernahm er ein weiteres Klopfen. Hektischer, drängender dieses mal, und von einer anderen Klangfarbe. Nun hörte es sich eher so an, als würde jemand Holz auf Holz schlagen. Fast so, als hämmerte jemand gegen das Haupttor. Jetzt wurde ihm doch ein wenig mulmig zumute. Die Klostergemeinschaft suchte die Abgeschiedenheit und mied den Kontakt mit den Bauern, die ihre Felder im Umland des Klosters bewirtschafteten. Und die Bauern hielten sich ihrerseits auch von den Mönchen fern, denen sie in ihrem Aberglauben okkulte Praktiken nachsagten. Wer also stand dort vor dem Tor und begehrte Einlass, und das auch noch mitten in der Nacht?
Er löste sich von der Wand und überquerte den verschneiten Innenhof. Der Wind hatte gedreht, und nun trug er die hektischen Klopfzeichen wesentlich deutlicher an Richards Ohr. Es gab keinen Zweifel mehr, dass jemand draußen vor dem Tor stand und aufs Energischste Einlass forderte.
Wer mochte es sein? Richard vergewisserte sich, dass der kleine Dolch, den er im Gürtel seines grünen Habits trug, nicht auf den ersten Blick zu sehen war.
Ein kleines vergittertes Sichtfenster, das mit einem hölzernen Laden verschlossen werden konnte, war in den linken Torflügel eingelassen worden. Richard öffnete die Klappe und spähte hinaus in die eisige Nacht.
Vor dem Tor stand ein junger Mann mit blasser Haut und teurer Kleidung. Einen schweren Mantel trug er, komplett mit Zylinderhut und Gehstock. Alles in allem sah der junge Mann eher aus, als gehörte er in einen teuren Club oder einen prunkvollen Konzertsaal irgendwo in London. Richard konnte sich nicht erklären, was ein junger Gentleman in der nächtlichen Kälte des rauen irischen Winters verloren hatte, noch dazu allein. Sein erscheinen hier war zweifelsohne ungewöhnlich und weckte Richards Neugierde, gleichwohl schien ihm der junge Mann jedoch keinerlei Bedrohung darzustellen.
„Wartet einen Moment, ich werde das Tor für Euch öffnen,“ rief Richard.
Den schweren hölzernen Riegel, der das zweiflüglige Tor von Innen verbarrikadierte, aus seiner Halterung zu lösen und beiseite zu schieben, war für einen Mann allein keine einfache Aufgabe. Doch Richard war groß und stark. Auch wenn das Leben, dass er als Schläger in den rußgeschwärzten Straßen und den verdreckten Hinterhöfen von Leeds geführt hatte, schon seit nunmehr drei Monaten der Vergangenheit angehörte, hatte er noch immer die Statur und die Muskulatur eines Straßenkämpfers.
Schließlich fiel das schwere Stück Holz, dass von den Schneefällen der vergangenen Tage  aufgeweicht worden war, mit einem gedämpften Laut in den Schnee. Die Torflügel schwangen auf und Richard blickte den jungen Mann erwartungsvoll an.
„Was führt Euch zu so später Stunde zum Kloster Mosney?“


Zuletzt von Pongy-Tongy am Do 30 Jun 2016 - 18:57 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDo 30 Jun 2016 - 16:56

Jeder Schlag gegen das massive Holz des Tores schmerzte in den Fingern, welche trotz der weichen ledernen Handschuhe vom Wind und der schneidenden Kälte taub geworden waren. Dennoch ermahnte er sich gedanklich, nichts unversucht zu verlassen, diesem Getöse zu entkommen, welches sich wirbelnd von der Küste hinauf wälzte und zunehmend die durchweichte Kleidung gefrieren ließ. Mitunter hatte er wahrlich schon sehr viel bessere Ideen in die Tat umgesetzt, als in leichter Abendgarderobe durch den Winter zu waten. Jetzt schien sich das Wetter erbarmungsloser denn je auf ihn zu stürzen, ihn für seine Überheblichkeit strafen zu wollen. Als sich nichts auf sein Drängen regte, nahm er den Stock hinunter und ballte die freie Hand zu einer zierlichen Faust. Für den Bruchteil eines Momentes spielte er mit dem Gedanken sie gegen das Tor zu schlagen, ehe ihm das Verletzungsrisiko plausibler, als die Erfolgswahrscheinlichkeit erschien. Er wandte sich hoffnungslos um, warf einen gequälten Blick auf das Meer. Von hier oben war die Aussicht dermaßen atemberaubend, dass die weißen Wölkchen aus seiner Nase stoben, als er vor der natürlichen Übermacht resignierend ausatmete. Was sollte er nun machen? Wenn ihm die Tore ins Kloster verschlossen blieben – sein Blick huschte zurück zu den kahlen Mauern –, dann musste er etwas anderes finden. Ob es ein gottverdammtes Dorf voller halbnackter, haariger Iren gab – oder waren das die Schotten? Er schmeckte den metallischen Geschmack seines Blutes, als dieser Gedanke mit einem spröden Lächeln die Lippe aufplatzen ließ. Oder er würde – seine blauen Augen zögerten, ehe sie zurück zur Kutsche blickten und sahen, was sie nicht sehen wollten. Nein! Er würde nicht zurück zu dieser Kutsche gehen. Auch, wenn es sich dort unten nur um überdimensionale wintertaugliche Glühwürmchen handeln konnte, würde er nicht in die Nähe von diesen Augen gehen, mit dem ihm das Unterholz nachstellte. Da war es wieder, dieses trügerische Gefühl, als würde jemand warm in seinen Nacken atmen. Augenblicklich versteifte sich sein Körper, um sich dann zu einem Zittern zu winden. Er wirbelte herum, um zu sehen, dass niemand hinter ihm gestanden hatte. Und tatsächlich: hinter ihm tanzten bloß friedlich die Flocken in der Luft, fütterten die ohnehin unberührte Schneedecke mit weißer Unschuld, nur ein Schatten huschte über sein Gesicht. Der junge Gentleman hob abrupt den Kopf, spähte in den Mond, welcher unbedeckt am Firmament verharrte, dann runzelte er die Stirn.
Das unerwartete Öffnen der hölzernen Klappe hinter dem kleinen vergitterten Spalt, zwang ihn dazu sich reflexartig umzudrehen und den erstarkten Herzschlag in der Brust zu spüren. Erschrocken zerstoben die Atemwölkchen im Nachtwind. Sein Blick kreuzte kurz den der Gestalt, die sich hinter dem Gitter verbarg. Zu langsam drangen die Worte durch den Wind in seinen Geist, sodass sein stummes Das wird aber auch Zeit! ungesehen an der Pforte abprallte und sein Blick sich wieder aufhellte. Dem dumpfen Aufprall des Riegels folgte das schwere Schaben des Torflügels über den schneebedeckten Boden. Sein Blick hing an der Person, die dahinter zum Vorschein gekommen war. Der grobe grüne Habit erschien ihm ebenso rau und unpassend wie das Brausen des Windes und obwohl er makellose Livrees gewohnt war, erfreute er sich an dem Anblick eines menschlichen Dieners – auch, wenn er bloß Gott diente. Der herrschaftlichen Etikette verpflichtet straffte er seine Schultern. „Ich bin Lord Cyril Jonathan Hugh Gascoyne-Cecil, fünfter Sohn des Marquess of Salisbury Robert Arthur Talbot Gascoyne-Cecil und -“ er räusperte sich, weil ihm das Sprechen schwerer fiel, als erwartet. „Und ich ersuche Obdach im Hause des Herrn wider den Schergen des Teufels!“ fügte er pathetisch und in Ermangelung einer passenderen kirchlichen Gelegenheitsfloskel hinzu. In Gedanken konnte er das tiefe Lachen seiner Mutter hören, die ihre Fassung nicht aufrecht halten konnte, bei dem Gedanken, dass gerade ihr jüngster Sohn freiwillig in ein Kloster ging. Umso amüsanter, dass er dort vermutlich erst einmal festsitzen würde und dem frommen Glauben des Erlösers frönen musste. Vielleicht lag etwas Verurteilendes in diesem Lachen.
Die blauen Augen hatten strahlten jetzt wieder etwas Lebendigeres aus, als ihm das prasselnde Feuer im Hof gewahr wurde. Sein Blick versuchte das Gesicht des Mönches zu ergründen, was aufgrund der Kapuze eher misslang. Also pokerte er mit dem Schicksal: Ohne jegliche Vorwarnung und mit der für irische Verhältnisse natürlichen Unhöflichkeit nutzte er den Spalt zwischen Mönch und Torflügel aus, um sich elegant an ihm vorbei zu schieben.
Selbstzufrieden richtete er sich im Torbogen auf: „Seht Ihr, ich bin auch kein Vampir und zerfalle zu Asche, wenn ich heiligen Boden betrete.“ verkündete er, lächelte für einen kurzen Moment, ehe er sich übertrieben räusperte, weil ihm die Situation selbst sehr viel weniger komisch vorkam, als er intendiert hatte. Von zerplatzter Spontankomik verlegen glättete er behutsam seine Kleidung und richtete sich den Zylinder, der nicht verrutscht war. Sein Blick huschte an den Mönch vorbei, heftete sich an die Dunkelheit außerhalb der Mauern. Er spürte immer noch den Blick auf sich ruhen, den er sich im Gestrüpp eingebildet hatte.
Ein weiteres, diesmal höheres Räuspern, ehe er sich erneut dem Mönch zuwandte: „Es würde euch doch nichts ausmachen, das Tor zu verriegeln, oder?“ ein kurzes ängstliches Zucken durchbrach die arrogante Haltung. Dann machte er einen Schritt in den Hof, strebte zum warmen Schein des Feuers „Mir ist kalt und Hunger plagt mich.“ fügte er mit so fester und selbstverständlicher Stimmlage hinzu, als spräche er mit einem Angestellten des markgräflichen Haushaltes. Im nächsten Schritt innehaltend, wandte er sich kurz um, warf einen kritischen Blick auf den schweren Riegel und hoffte, dass man nicht davon ausging, dass er Hand daran legen würde...
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyFr 1 Jul 2016 - 1:11

Richard erahnte die Bewegung schon, bevor er sie sah. Dem Auge des geübten Straßenkämpfers entging nichts; weder der begierige Blick, den der durchgefrorene junge Mann auf das große Feuer im Innenhof geworfen hatte, noch das Anspannen der Beinmuskulatur oder das Verlagern des Gewichts auf den Vorderfuß waren dem Mönche verborgen geblieben. Dennoch staunte Richard nicht schlecht, als der junge Mann sich mit beträchtlichem Geschick an ihm vorbei ins Innere der Umfriedung drängte. Der kleine war schnell. Elendes Bürschlein!
Während Richard sich noch fragte, wie er sich so hatte überrumpeln lassen können, versuchte der Neuankömmling scheinbar, die Atmosphäre mit einem Scherz aufzulockern und richtete danach auf übertriebene Art seine Garderobe. Gleichwohl bemerkte Richard, dass der junge Mann nicht ihn anschaute, sondern wie gebannt in die Dunkelheit außerhalb der Klostermauern starrte.
Richard ließ den Blick seiner dunkelbraunen Augen prüfend über den zum Meer hin abfallenden Hügelpfad schweifen. Er konnte nichts ungewöhnliches erkennen, als er angestrengt in die Nacht hinaus starrte. Der frische Schnee, der noch immer in zarten Flocken vom Himmel fiel, reflektierte das Licht des Mondes, weshalb es angesichts der nächtlichen Stunde überraschend hell war. In der Ferne brandete das Meer erbarmungslos gegen die Klippen. Ein Stückchen landeinwärts, auf der alten Küstenstraße, konnte Richard ein Fuhrwerk ausmachen, das dort augenscheinlich mitsamt der Zugpferde von einem umstürzenden Baum begraben worden war. Kein Wunder, dass der junge Lord so aufgelöst zu sein schien. Er war bei dem Unfall wahrscheinlich nur knapp mit dem Leben davongekommen. Und dennoch, Richard fühlte, dass dort in der Nacht noch etwas anderes war, vor dem sich Cyril fürchtete.
Nachdenklich fuhr sich der Bruder Richard durch seinen Kinnbart. Irgendetwas stimmte hier nicht. Unwillkürlich kamen ihm Bilder der Dinge vor Augen, die er in seinem fünfundzwanzigjährigen Leben schon gesehen hatte und die ihn dazu veranlasst hatten, dem Orden des heiligen Cyprian beizutreten. Bilder von Dingen, die es nicht geben durfte. Bösen Dingen.
Bruder Richard bekreuzigte sich und sprach leise ein Vater Unser in lateinischer Sprache, bevor er sich zu dem jungen Lord umwandte, der mit einem Räuspern seine Aufmerksamkeit einforderte. Der junge Mann bat Richard, das Tor wieder zu verschließen, bevor er anschließend recht forsch nach etwas zu Essen verlangte. Fast so, als redete er mit einem Bediensteten.
Richard sah sich genötigt, etwas klarzustellen: „Es gibt an diesem Ort keine Lords oder sonstigen Adligen. Wir alle hier sind Kinder des einzig wahren Fürsten über Himmel und Erde. Erwartet also nicht, dass Euer angeborener Titel mir oder meinen Brüdern irgendeine Form von Respekt abnötigt. Wir erkennen hier keinen anderen König an als Gott, und schon gar keinen Engländer!“
Dies war natürlich nicht ganz richtig, denn die Gründung des Klosters im frühen dreizehnten Jahrhunderts hatte nur mit dem Segen des Lords von Irland erfolgen können, der gleichzeitig in Personalunion auch König Heinrich III. von England gewesen war.
Nachdem er die Torflügel geschlossen und den schweren Riegel wieder in die dafür vorgesehenen Halterungen gelegt hatte, sagte er zu Cyril: „Wenn Ihr eine Unterkunft und eine warme Mahlzeit benötigt, so können wir Euch beides zur Verfügung stellen. Beides gebietet die christliche Nächstenliebe. Erwartet jedoch kein Wilkommensfest. Ihr seid hier nur geduldet, solange, bis die Schneestürme nachlassen und Ihr gefahrlos den Weg ins nächste Dorf antreten könnt. In der Zwischenzeit erwarten wir von Euch, dass Ihr Euch still und ziemlich verhaltet. Abt Nathaniel wird Euch morgen, nach der Frühandacht, sehr wahrscheinlich kennenlernen möchten. Bis dahin könnt Ihr die Nacht in der alten Zelle von Bruder Laurs verbringen. Diese steht leer, seit unser verehrter Bruder den Entschluss gefasst hat, sich als Inkluse in einem kleinen Raum neben der Kirche einmauern zu lassen, um frei von weltlichen Versuchungen seine Suche nach Gott fortsetzen zu können.“
Er erklomm die paar gemauerten Stufen zum Eingang der Wohnquartiere und betätigte die schmiedeeiserne Klinke. Die rostigen Scharniere gaben ein nervtötendes Quietschen von sich, als die hölzerne Tür aufschwang und den Blick auf ein steinernes Treppenhaus freigab, welches vom Schein der an der Wand befestigten Fackeln in ein warmes, einladendes Licht getaucht wurde. Richard hielt die Tür geöffnet und machte eine auffordernde Geste in Richtung des Neuankömmlings. „Kommt, Cyril. Ich führe Euch zu Eurer Bleibe. Danach werde ich sehen, ob ich irgendwelche Reste vom Nachtmahl finden und auf Euer Zimmer bringen kann. In der Zwischenzeit bitte ich Euch, in dem Zimmer auf meine Rückkehr zu warten. Achtet darauf, leise zu sein. Meine Brüder schlafen.“
Richard wollte schon vor dem Neuankömmling ins Innere des Gebäudes verschwinden, als er sich noch einmal umwandte. „Ich habe mich Euch noch nicht vorgestellt. Ich bin Bruder Richard Keebler von dem Orden des heiligen Cyprian von Antiochia.“
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 2 Jul 2016 - 18:20

In den quälenden Sekunden, in denen sein Gegenüber offenbar von widerstrebendem Geltungsbedürfnis gepackt wurde, tastete der Blick des Adeligen erstmals die neue Umgebung ab. Hier im verschneiten Hof des Klosters war es bis auf das hitzige Knistern der Holzscheite und das Heulen des Windes nächtlich ruhig. Der Mönch, der ihm gerade Obdach gewährt hatte, schien der Einzige gewesen zu sein, der noch nicht geschlafen und daher Wache gehalten hatte. Zumindest deuteten die lichtleeren Fenster im größten Gebäude des Komplexes darauf hin. Es schien ein altes Kloster zu sein, nicht sonderlich prunkvoll, sondern lediglich zweckdienlich, die Mauern schienen solide, während die Ställe verdächtig marode zu sein schienen. Mutmaßlich gab es auch nicht all zu viele Besucher. Für eine Nacht würde dies also seine Bleibe sein. Die Freude darüber hielt sich noch in den Grenzen des eben erst realisierten Ereignisses auf der Straße.
Aus den Gedanken, die sich mit dem Warum? und dem Wie? plagten, gerissen, fokussierte sich Cyrils Aufmerksamkeit auf das Gesicht unter der Kapuze. Angestrengt lauschte er den mit kühlem Ärger gesprochenen Worten, hob abschätzend eine Augenbraue. Das spitze, geringschätzende Lachen, welches er stets zu perfektionieren versuchte, sparte er sich jedoch für einen effektiveren Moment auf. Es war so naiv von dem Mönch zu glauben, frei von der Herrschaft der oberen Zehntausend zu sein. Die britische Krone war derart mächtig, dass nicht einmal entfernte Kontinente ihrer allumfassenden Macht entziehen konnten und da glaubte dieser grobschlächtige – denn nichts anderes konnte jemand, mit derartiger Respektlosigkeit gegenüber einem Adeligen, sein – Kuttenträger, dass sich das unterjochte Irland dem Hochadel entsagen konnte? Das war beinahe schon kindlicher, naiver Realismus! Cyril legte leicht den Kopf schief, während er abzuschätzen versuchte, ob sein Gegenüber es wert war, ihn auf den essentiellen Fehler in seiner Weltanschauung hinzuweisen. Da er sich zu erschöpft für eine langwierige fundamentalistische Debatte fühlte und der Mönch vermutlich dem katholischen Irrglauben anhing, entschied er sich diplomatisch für folgenden Kommentar: „Vielleicht solltet Ihr einmal darüber nachdenken, was von Gottes Gnaden bedeutet.“ Es erschien ihn als unklug sich in der Situation aufzuspielen und selbst in die bemängelte Unhöflichkeit abzurutschen, immerhin war er der zivilisierte Engländer und konnte seiner Rolle als Gast durchaus gerecht werden. Der Wind strich ihm über die Schulter, beinahe so, als wolle er ihn dafür mit einer liebevollen Geste honorieren. Cyril schürzte die Lippen, ehe er sich zu einem aufgesetzten Salonlächeln abmühte. Diese Debatte war damit vorerst beendet, er wollte keine Feindseligkeit in nächtlicher Stunde äußern. Hoffentlich erkannte dies auch der Mönch.
Inzwischen hatte sich dieser nämlich, offenbar seiner Rolle gerecht, vornüber gebeugt und den schweren Riegel vom Boden zurück in die schweren eisernen Halterungen gehoben. Bei der Beobachtung dieses Kraftaktes dankte er seinem Kopf für die höfische Diplomatie, denn es schien um durchaus plausibel, dass der Mönch ihn womöglich sonst hinaus geworfen hätte – im wahrsten Sinne dieser Worte!
Abermals richtete sich der Mann in der grünen Robe an ihn, bei gleichbleibend geringer Höflichkeit. Cyril seufzte leise, ehe er er bei den letzten Worten wieder in eigenen Gedanken versunken war: Da hatte er sich aber ein lauschiges Plätzchen im Paradies ausgesucht. Mitten in der irischen Einöde, eingeschneit in einem Kloster zusammen mit einem Mönch, dem jedes nette Wort in der Kehle stecken blieb. Da hatten selbst die Abgeordneten seiner Familie in der entlegenen Kronkolonie Indien ein schöneres Los vom Schicksal gezogen zu haben. Und dort war es schon unerträglich mit diesen unkultivierten, heidnischen Indigenen, die Kühe anbeteten und mit ihren Gewürzen zauberten. Aber immerhin war es dort warm und damit ging Indien gegenüber diesem Mosney-Kloster in Führung. Kein Wunder, dass sich dieser Bruder Laurs freiwillig einmauern ließ. Wenn alle hier so außergewöhnlich sozial veranlagt waren, erschien es dem Lord zumindest erleichternd.
„Ja, ja.“ nickte er bedächtig die Verhaltensinstruktionen ab „Sehr erfreut.“ fügte er dann hinzu und lockerte den Gehstock, der leicht im Schnee versunken war. „Ich kann das Treffen mit eurem Abt kaum erwarten!“ tatsächlich entsprach dies sogar der Wahrheit. Denn irgendjemand musste hier ja die Verantwortung tragen und war daher sicherlich in der Lage den unerfreulichen Empfang, den man hier zu bereiten gepflegt hatte, in angemessener Form zu tadeln. Es war ein Hoffnungsschimmer, denn die Führungskräfte dieser Welt waren stets durch ein unsichtbares Band miteinander verflochten. Und so ein entlegen lebender Abt war dem englischen Geld und der lordschaftlichen Dankbarkeit sicherlich nicht abgeneigt, dem war sich Cyril sicher. Schließlich funktionierte so die moderne Welt und jeglicher britischer Zentralismus. Darum würde er sich aber am Morgen kümmern, jetzt öffnete sich mit der aufschwingenden Tür auch ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Wärme und Gemütlichkeit. Zumindest die Wärme, musste aber noch einen Augenblick warten, als sich der englische Adelige anschickte die Treppen ebenfalls hinauf zu steigen, begegnete er dem Mönch mit hartem Blick. „Ich überschlage mich mit persönlicher Freude, Euch kennen zu lernen Bruder Richard. Ich fühle mich Eurer Gastfreundlichkeit zutiefst mit Dankbarkeit verpflichtet“ begann er mit vor Sarkasmus triefender Stimme und stieg auf die erste Stufe. „Ich bin mir jedoch sicher, dass der heilige Cyprian von Antiochia “ - er legte besonders viel wert darauf den Namen hoch und absolut beeindruckt auszusprechen - „gewusst hätte, dass es sich für Euch ziemt, mich zumindest mit Mylord anzusprechen.“ Er ließ den Worten ein provokantes Heben der Augenbrauen folgen. Dann stolzierte er an Richard vorbei, nahm den Zylinder beim Betreten des Gebäudes mit provoziert inszeniertem Höflichkeitsbewusstsein ab, in Richtung Treppe. Da dies der einzige Weg nach oben war, konnte er zumindest der Peinlichkeit entgehen, nach dieser Szene in die falsche Richtung zu gehen. Erst am Treppenabsatz auf der nächsten Etage, musste er tatsächlich darauf warten, dass Bruder Richard ihm den Weg wies, denn leider kannte er sich hier absolut nicht aus.

Schließlich hatten sie die Tür erreicht, die Bruder Richard als die Kammer des eingemauerten Wahnsinnigen vorstellte. Es roch ein wenig muffig und bis auf eine Pritsche, einen kleinen Tisch samt Hocker und ein halbhohes Regal, in dem sich mehr Staub als Bücher befand, war der Raum leer. Es gab ein winziges verglastes Fenster, was viel eher an eine Schießscharte der letzten Jahrhunderte erinnerte. Cyril rümpfte die Nase. Er musste die Bedingungen seiner Unterkunft aufs dringlichste mit dem Abt neu verhandeln. Sein Blick huschte von den Ecken der überschaubaren Kammer zurück zu Bruder Richard, der immer noch in der Tür stand und mit der mitgenommenen Fackel für etwas Licht sorgte. „Danke.“ murmelte der Lord, zu ernüchtert von der schlichten Unausweichlichkeit, die diese ganze Situation wie ein Korsett um ihn schnürte. In einem Anflug von Selbstständigkeit griff er nach der Fackel in den Händen des Bruders, entwendete sie ihm und zündete damit den Kerzenstummel an, der auf dem steinernen Podest neben der Tür zurück geblieben war.
„Wolltet Ihr nicht eine Speise servieren?“ fragte Cyril gewohnt spöttisch, überlegte dann kurz „Oder zumindest... irgendwas Essbares auftreiben?“
In den letzten Worten lag etwas Erschütterndes – war es Verzweiflung?
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 5 Jul 2016 - 8:35

Richard blickte Cyril verdutzt nach, als dieser an dem Mönch vorbeischritt und die steinernen Treppenstufen erklomm. Hatte dieser eingebildete Lackaffe gerade tatsächlich von ihm verlangt, mit „My Lord“ angeredet zu werden? Richard schüttelte resigniert den Kopf. Die lokalen Bauern mochten die Mönche vielleicht fürchten, aber zumindest begegneten sie den Ordensbrüdern mit dem gebührenden Respekt. Dieser ignorante englische Schnösel auf der anderen Seite schien für alles nur altkluge Arroganz übrigzuhaben. Vielleicht war es doch ein Fehler gewesen, ihm das Tor zu öffnen. Arroganz gepaart mit Unverständnis war selten eine gute Kombination. Und es gab gute Gründe, warum der Orden des heiligen Cyprian die Abgeschiedenheit schätzte.
Als Richard am oberen Ende der Treppe anlangte, stand Cyril dort schon und wartete auf ihn. Mit einer Kopfbewegung bedeutete der Mönch ihm, dass er den Weg nach rechts einschlagen möge. Die Schritte der beiden Männer brachten die alten Holzbohlen zum Knarren. Aus einigen der Türen, die sie links und rechts passierten, hörte man das Schnarchen der Mönche. Das Heulen des Sturms schien hier im Wohntrakt des Klosters nur ein entferntes Säuseln zu sein, denn obschon das Gebäude schon seit Jahrhunderten stand, war es stets gut in Schuss gehalten worden. Es gab keine Mauerritzen, durch die der Wind pfiff, und die vielen Fackeln an den Wänden und die Kamine, die an bestimmten Weggabelungen in die Wand eingelassen waren, spendeten eine wohlige Wärme. Auf den Bleifassungen der Butzenglasfenster hatte sich Schnee gesammelt, und durch die Scheiben fiel, ätherisch blau, das Licht des Mondes herein.
Im Ostflügel des Wohngebäudes erreichten sie schließlich einen Gang, der in einer Sackgasse endete. Vor der letzten Tür auf der linken Seite, die im Gegensatz zu den anderen Türen in diesem Korridor nur angelehnt war, blieb Richard stehen.
„Hier wären wir nun also. Das ehemalige Quartier von Bruder Laurs.“
Richard stieß die Tür auf, und sie traten in die dunkle Kammer. Der Mönch bemerkte sehr wohl, wie der junge Lord angesichts der Schlichtheit seiner Bleibe die Nase rümpfte. Die Kammer musste wirklich recht armselig wirken, gemessen an dem, was Cyril sicher von zuhause gewohnt war. Selbst Richard war der Einstieg ins Klosterleben schwer gefallen, und er hatte davor ein Leben auf den Straßen von Leeds geführt, in zweitklassigen Kaschemmen genächtigt und sich mit irgendwelchen Trunkenbolden in Badezimmern geprügelt. Wie musste dieses Zimmer also auf den luxusverwöhnten Cyril wirken?
Insgeheim weidete sich Richard an dem Unwohlsein des arroganten Adelssprosses angesichts seiner Unterbringung. Als Cyril sich bei Richard bedankte und um die versprochene Mahlzeit bat, klang er schon um einiges weniger arrogant als noch vor wenigen Minuten. Anscheinend hatte der junge Lord das keltische Kreuz, dass links der Tür an der Wand hing, noch nicht bemerkt, denn sonst hätte er bestimmt verlangt, dass es abgenommen werde. Oder vielleicht war er auch einfach nur so erschöpft und hungrig, dass er keine Kraft mehr hatte, sich darüber zu beschweren. Das Kreuz war von einem reich verzierten irischen Design, und es verschaffte Richard innere Genugtuung zu wissen, dass Laurs es hier zurückgelassen hatte, denn Cyril als protestantischer Engländer lehnte natürlich jegliche Verzierungen am Kreuz ab. Für diese einfallslosen Protestanten kam jeglicher Ausdruck von Kunstfertigkeit im religiösen Kontext Häresie gleich.
„Ja, Ihr habt Recht. Eine Mahlzeit hatte ich Euch in der Tat in Aussicht gestellt. Bitte entschuldigt mich einige Minuten, während ich in der Küche nachsehe. Solltet Ihr Euch in der Zwischenzeit langweilen, steht es Euch frei, unter Bruder Laurs Habseligkeiten nach Zerstreuung zu suchen. Der Bruder hat allen weltlichen Dingen entsagt, also habt keine Hemmungen, Euch an seiner Privatbibliothek zu bedienen. Insbesondere Boethius' „de consolatione philosophiae“ ist meiner bescheidenen Meinung nach sehr zu empfehlen.“
Richard machte sich nicht die Mühe, seine Fackel von Cyril zurückzufordern. Die meisten Abschnitte des Klosters waren auch des Nachts gut dank brennender Fackeln gut beleuchtet, und für die dunkleren Orte verließ Richard sich auf seine scharfen Augen, die auch in der Dunkelheit überdurchschnittlich gut funktionierten. Er schloss die schwere, aus Holz gezimmerte Tür hinter sich und machte sich auf den Weg in Richtung der Küche.
Was für ein ungewöhnlicher Abend. Seit seinem Eintritt in den Orden hatte das Kloster Mosney noch nie einen Gast beherbergt. Wieder musste Richard an das ungute Gefühl denken, dass ihn beim Blick hinaus in die Nacht beschlichen hatte. So, als hätten glühende Augen aus der Finsternis der Nacht direkt bis auf den Grund seiner Seele gestarrt.
Er würde bei Gelegenheit mit einem seiner Brüder darüber sprechen müssen, aber vorsichtig. Der Orden des heiligen Cyprian war ein ganz besonderer Orden, so, wie auch der heilige Cyprian von Antiochia ein ganz besonderer Heiliger war. Doch noch war Richard ein Novize im Orden, und es wäre unklug von ihm, seinen Brüdern zu viel von seinem Wissen über die okkulten Dinge preiszugeben. Seit seiner Ankunft im Kloster war das Übernatürliche stets nur in vagen Andeutungen seiner Brüder erwähnt worden. Und nicht selten hatte er den Eindruck bekommen, das Konversationen abrupt endeten, sobald er einen Raum betrat.
Vielleicht würde sich in der reichhaltigen Bibliothek von Mosney etwas finden lassen...? Andererseits: wonach sollte er suchen? Das Gefühl, dass ihn beschlichen hatte, war eben nur das: ein Gefühl. Kein Phänomen, dass er wirklich in Worte fassen konnte. Er brauchte mehr Informationen. Ob der junge Lord, dieser Cyril, bei seinem Kutschenunglück etwas gesehen hatte, dass ihm weiterhelfen würde?
Richard passierte das Mauerloch, durch das der Inkluse Laurs Nahrung und Wasser erhielt. Es befand sich an der gegenüberliegenden Wand ein weiteres, kleineres Loch, durch das Bruder Laurs während der Andacht der heiligen Messe lauschen konnte. Diese beiden kleinen Öffnungen waren Laurs einziger Nabel zur Außenwelt. Mit einiger Irritation nahm Richard zur Kenntnis, dass der Inkluse scheinbar nicht schlief, sondern geradezu frenetisch Gebete vor sich hinmurmelte. Der Mönch hielt Inne und lauschte.
„...De profundis clamavi ad te domine, domine exaudi vocem meam...“
Richard klopfte mit seinen Fingerknöcheln an die Wand oberhalb des Lochs. Augenblicklich verstummten die Gebete. Sicherlich hatte Bruder Laurs nicht damit gerechnet, dass mitten in der Nacht noch jemand anderes wach sein könnte.
„Wer ist da,“ drang die Stimme des Inklusen an Richards Ohr. Sie klang heiser und gehetzt.
„Hier ist Bruder Richard. Bruder Laurs, geht es Euch gut? Ich vernahm Euer Gebet zu solch ungewöhnlicher Stunde, und ich wollte mich nur vergewissern, dass alles in Ordnung ist.“
Normalerweise vermied Richard es, sich zu lange in dem Gang aufzuhalten, der durch die Maueröffnung mit der Zelle des Inklusen verbunden war. Der Geruch, der dem kleinen Loch entströmte, war alles andere als angenehm, weshalb er umso ungeduldiger auf eine Antwort auf seine Frage wartete, damit er endlich seinen Weg fortsetzen konnte. Doch Bruder Laurs blieb stumm. Erst, als Richard sich schon schulterzuckend wieder in Bewegung setzen wollte, drangen wieder Worte durch das Loch an sein Ohr. „Und ihnen ward die Macht gegeben, sie nicht zu töten, sondern fünf Monate lang zu peinigen. Und ihre Pein war wie die Pein von einem Skorpion, wenn er einen Menschen gestochen hat."
Richard seufzte unbehaglich. Was um alles in der Welt war heute Abend nur los? Auf seine Frage nach der Bedeutung dieser kryptischen Worte erhielt Richard keine Antwort mehr, denn Bruder Laurs hatte sich wieder in sein Gebet vertieft und ignorierte den Mönch, der draußen vor dem Mauerloch stand, vollkommen.
In der Küche fand Richard einen Laib Brot, eine Räuchersalami und ein wenig Butter, die er auf einem schlichten Teller anrichtete und mit einem Becher Wein zusammen nach Draußen trug. Richard wollte nicht noch einmal am Mauerloch des Inklusen vorbei, weshalb er die Küche über eine Seitentür verließ und den Weg zu Cyrils Zimmer quer über den Innenhof zurücklegte. Der Wind hatte nachgelassen, und die Schneeflocken schwebten mittlerweile völlig sanft zu Boden. Mit dem weit ausgeschnittenen Ärmel seiner grünen Kutte versuchte Richard, das karge Mahl vor dem Schnee zu schützen. Es war nicht viel und würde Cyril wahrscheinlich nicht satt machen, aber wenigstens sollte es nicht komplett aufgeweicht und ungenießbar sein.
Mit Mühe und Not schaffte Richard es, den Teller mit dem Essen halbwegs trocken durch das Schneetreiben zu bugsieren und stand bald vor der Tür zu Cyrils Kammer. Er klopfte gegen das Holz und trat dann in den von Kerzenschein erhellten Raum.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 5 Jul 2016 - 22:37

Mit regungsloser Miene lies er die letzten Worte des Mönches in den Windungen seines Gehirns versickern, blinzelte in die plötzliche Einsamkeit, die im Licht der Fackel ersichtlich wurde. Für einen Mönch war Bruder Richard wirklich sehr sprachgewandt. Das war alles, was ihm dazu einfallen konnte. Skeptisch wechselten seine Augen von der Fackel in seinen Händen und der offen stehenden Tür hin und her. Was sollte er nun damit anfangen? Vielleicht konnte er sie in eine der Halterungen in dem Gang unterbringen, den er gerade mit Richard durchquert hatte. Es erschien ihm zumindest sehr naheliegend. Vorsichtig – so als könne sonst etwas ganz Furchtbares geschehen – schob er den Kopf hinaus, lugte nach links in den Gang hinein. Ein zutiefst beunruhigendes Gefühl machte sich in ihm breit, als er den kahlen, nur von den Fackeln zwischen den Türen erhellten Korridor hinab schaute. Behutsam trat er aus der ihm zugewiesenen Kammer. Es war bis auf das rhythmisierte Schnarchen aus einem der näherliegenden Zellen ruhig. Cyril nickte leicht, als müsse er sich bestätigen und straffte dann die schmalen Schultern. Die wenigen Schritte, die er vorwärts ging, reichten aus, zu erkennen, dass er sich geirrt hatte. Sämtliche Halterungen in den Wänden hielten bereits eine brennende Fackel. Mit einem leicht genervten Stöhnen hob er die Fackel vor sein Gesicht: Warum konnte nicht eine dieser Fackeln einfach ausgehen?! Denn, wie man eine Fackel löschte, wusste er nicht, und ausblasen erschien ihm zu einfach. Mit einem Hauch von Hilflosigkeit blinzelte er in das warme Orange, welches sich durch die getränkten Stoffbahnen fraß, verlor sich darin. Das Brausen des Windes war zu einem leichten Säuseln abgeklungen, sodass es dem jungen Lord umso überraschender traf, als die Fackel in der Halterung neben ihm urplötzlich zu einem feinen Rauchfaden erstarb. Irritiert löste er sich aus der Starre und sah ungläubig dabei zu, wie auch das letzte Glimmen erstarb, ein Schauder jagte ihm den Rücken hinunter. Hatte sich sein unausgesprochener Gedanke etwa manifestiert - ? Cyril hob den Blick erneut und sah, dass die nächste Fackel ebenfalls erlosch. Die Finger in seinen Handschuhen fühlten sich auf einmal umso kälter an. In der Verwunderung gefangen realisierte der Adelige nur langsam, wie jede einzelne Fackel erstarb und der Korridor nach und nach in tiefste Schwärze gehüllt wurde. Nur die Fackel in seiner Rechten hüllte ihn noch in eine schützende Aureole warmen Lichtes.
Zu spät bemerkte es der Blauäugige, dass mit dem Licht auch sämtliche Geräusche erstickt waren, die Fackel in seiner Hand flackerte unruhig. Dann war es wieder da. Dieses eiskalte Gefühl, dass sich seine Beine hinaufschlich, sich unter der Kleidung regte, das Handgelenk umschloss. Noch ehe sie den Boden berührte, war diese Fackel ebenfalls erloschen. Es war stockdunkel. Cyril spürte, wie sich sein eigener Atem auf den Lippen niederschlug, dann hörte er ein tiefes Geräusch, welches zu einem Knurren anschwoll. Es war stockdunkel und zwei gelbe Augen fingen seinen Blick. Ein Schrei verhallte ungehört in der Finsternis, als sich die Augen des Lords weiteten. Schnell kam der gelbe Blick näher, etwas Lauerndes lag darin, er hörte, wie etwas über den Boden kratzte. Für einen kurzen Moment übernahmen urtümliche Reflexe seinen Geist, rissen die Beine aus der Starre und zwangen den Körper dazu, sich umzudrehen und los zu laufen. Das harte Geräusch der Absätze auf den Bodendielen hallte in seinen Ohren, zwang langsam die taub machende Dunkelheit zurück. Vor ihm flackerte ein kleines Licht auf, er stürzte darauf zu, erkannte am Rande seiner Wahrnehmung die Kerze in seiner Kammer. Ein letzter Schritt, ein hochgerissener Arm, das schwere Schlagen einer Tür. Obwohl von außen etwas gegen die Tür prallte, bewegte sich das Holz keinen Millimeter. Cyril drückte sich mit dem Körper, mit der überforderten Blindheit seiner Wahrnehmung dagegen. Er hörte, wie etwas von draußen etwas an der soliden Tür kratzte, Einlass begehrte. Panisch wich der junge Adelige zurück bis seine Waden an das niedrige Gestell stießen, welches, das Bett zusammen hielt. Ebenfalls davon überrascht, stolperte er und landete auf dem ausgestopften Laken. Sein Blick starr vor Furcht an die Tür geheftet. Wie lange würde sie wohl halten? Was sollte er nur tun? Und: Was befand sich dort vor der Tür?
Leise kehrte sein Geist wieder zurück, die Hände, die er benutzt hatte, um sich aufzufangen, halfen ihm dabei sich aufzusetzen, sich zu erinnern. Wie ein gleißender Blitz preschte der Gedanke an die Handfeuerwaffe durch sein Bewusstsein. Mit zittrigen Händen fasste er an seinen Mantel, fuhr in die feuchte Tasche, bis er erneut auf den kalten Stahl zu fassen bekam. Die Tür ächzte, der junge Lord erhob sich, richtete den zitternden Lauf auf die Tür. Er war bereit.
Dann öffnete sich die Tür, glitt nahezu lautlos auf. Mit geweiteten Augen erkannte Cyril in der dunklen Gestalt, die sich in sein Zimmer schob, den Mönch, der ihn hinein gelassen hatte. Tonlos klappte der Mund des Adeligen auf und wieder zu, der Blick der blauen Augen huschte über die Silhouette, die sich vor dem hell erleuchteten Gang abhob. Die Waffe entglitt seinen Fingern, schlug dumpf auf. „W-wie?“ hauchte Cyril und preschte vor, rauschte an Richard vorbei in den Gang. Alle Fackeln hingen fröhlich lodernd in ihren Halterungen, tauchten den Korridor in behagliches Licht. Ungläubig drehte sich der schmale Adelige herum, fixierte den Mönch. Unendliche Verwirrung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er zog langsam die Handschuhe von den Fingern, ließ diese ebenfalls achtlos neben sich auf den Boden fallen. Dann starrte auf das dunkle Holz der Tür, die er soeben zu geschlagen hatte. Es war an einigen Stellen zwar leicht verschrammt, wies aber ansonsten keine Spuren von Gewalteinwirkung auf. „Aber...“ murmelte er leise und raufte sich das feuchte blonde Haar, blickte hilfesuchend von der Tür auf, fixierte den Mann in der grünen Kutte.
„Du.“ schloss er schließlich und sein Blick wurde härter. Abrupt trat er an den Mönch heran, griff den Saum der Kapuze und schlug sie nach hinten, legte das Gesicht frei. „Wer seid Ihr?“ Abermals weiteten sich verblüfft die hellen Augen des Adeligen, als er statt in ein faltiges Gesicht in junge Züge blickte. Sein Gegenüber konnte ungleich älter sein, als er es selbst war. In den dunklen Augen konnte er den eigenen einschüchternd entrückten Blick sehen. Für wenige Augenblicke verharrte er regungslos, schien sich vollständig verloren zu haben, dann taumelte er zurück. Cyril hob einen seiner schlanken Finger und deutete auf den Mönch: „Ihr täuscht mich nicht!“ flüsterte er, „Ihr könnt mich nicht täuschen.“ fügte er lauter hinzu. Ein halbherziges Grinsen kletterte in seine Züge, zitterte jedoch nur kurz auf seinen Lippen. Sein ganzer Körper war vollständig angespannt, kalter Schweiß stand auf seiner Stirn. „Bruder Richard....“ er schnalzte mit der Zunge und schüttelte leicht den Kopf „Das ich nicht lache! Ihr habt gut gespielt....“ langsam lockerte sich die Haltung des Adeligen wieder auf, sein Blick klärte auf, das Funkeln in den Augen war verschwunden. Er fühlte sich lächerlich überrumpelt, wie ein kleines Kind, dass auf einen billigen Taschenspielertrick herein gefallen war. „Für einen kurzen Moment -“ er brach ab, fasste sich an die Stirn, lächelte ein kläglich beschämtes Lächeln. „Nein, es gibt keine Geister.“
„Also?“ er verließ erneut die kleine Kammer, blickte suchend den Gang entlang, ging dann zwei Schritte nach vorn. „Ich fürchte, ich habe die Fackel fallen lassen. Wo ist sie?“ Der Gang lag vollkommen leer vor ihm...
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 9 Jul 2016 - 12:50

Richard staunte nicht schlecht, als er die Tür zu Cyrils Kammer öffnete und in den Lauf eines Revolvers starrte. Der junge Lord musste die Schusswaffe gut versteckt haben, dass sie Richards scharfem Auge entgangen war. Der Mönch ließ den Blick von der auf ihn gerichteten Waffe zu Cyrils Gesicht wandern. Der junge Mann zitterte, und seine Augen waren angstgeweitet. Er machte den Eindruck, als wäre er nicht ganz Herr seiner Sinne und Richard erschrak.
Die natürliche Reaktion angesichts einer Schusswaffe in den Händen eines mutmaßlich traumatisierten jungen Mannes wäre eine schnelle Kehrtwende und eine Flucht den Korridor zurück gewesen. Sein Fluchtreflex hatte Richard während seiner Jugend in den kriminellen Arbeiterslums von Leeds mehrmals das Leben gerettet. Doch etwas hielt ihn zurück. Er machte einen Schritt über die Schwelle und blieb in der Tür stehen.
Richard dachte fieberhaft nach, was er sagen könnte, um die Situation zu entschärfen. Schließlich entschied er sich für ein schlichtes „Cyril, alles ist gut! Du bist hier in Sicherheit. Du brauchst keinen Revolver. Komm, leg deine Waffe weg.“ Er wechselte bewusst zum vertraulichen Du, weil er sich erhoffte, so eher zu dem verwirrten Adligen durchzudringen.
Es war unmöglich zu erkennen, ob der Angesprochene die an ihn gerichteten Worte überhaupt richtig verarbeitet hatte, aber die um den Griff der Waffe gekrampften Finger lockerten sich. Mit einem dumpfen Aufprall landete der Revolver auf dem Holzboden.
Nun, da die unmittelbare Gefahr vorüber zu sein schien, wich der Schrecken von Richards Geist und machte der Empörung Raum. „Was in Gottes Namen sollte das gerade mit dem Revolver,“ fuhr der Mönch Cyril an. Doch dieser ignorierte ihn vollständig, und drängelte sich stattdessen an ihm vorbei auf den Gang. Richard sah einigermaßen ratlos mit an, wie der junge Gentleman seine Umgebung aufs Genaueste in Augenschein nahm, so, als hätte er sie noch nie richtig gesehen. So, als wären sie nicht erst vor einer guten Viertelstunde gemeinsam diesen Gang entlanggelaufen.
„Hey, ich rede mit Euch! Hört Ihr...“ weiter kam Richard nicht, denn Cyril fuhr plötzlich herum und fixierte den Mönch mit seinen blauen Augen. Mit einer beachtlichen Schnelligkeit schnellte Cyrils Hand, nun ohne Handschuh, vor und riss Richard die Kapuze seiner Kutte herunter. Das rötlich blonde Haar, dass zum Vorschein kam, bildete einen starken Kontrast zum groben grünen Wolstoff von Richards Kutte. Der Orden des heiligen Cyprian war einer der ersten gewesen, die auf die Tonsur verzichtet hatten, weshalb Richards Haare in ihrer vollen Pracht erstrahlten.
Es folgte ein Schwall von in Richards Augen wirren und zusammenhangslosen Anschuldigungen, während derer Cyril unter anderem die Identität des Mönches in Frage stellte und mehrmals wiederholte, dass er sich nicht täuschen lassen würde. Bruder Richard verstand weder, wovon der junge Mann redete, noch, was ihn dazu verleitet hatte, ihn mit einem geladenen Revolver zu bedrohen. Er erkannte nur mehr und mehr, dass den jungen Lord ins Kloster einzulassen ein fataler Fehler gewesen war. Zum Teufel mit christlicher Nächstenliebe und Gastfreundschaft! Dieser geleckte Adlige stellte ein Sicherheitsrisiko dar. Insgeheim hoffte Richard, dass Abt Nathaniel dies bei der morgigen Unterredung genauso sehen und Cyril des Klosters verweisen würde.
Die Stimme des jungen Lords drang durch die von Selbstvorwürfen geplagten Gedanken des Mönches. Wo denn seine Fackel sei? Er habe diese irgendwo auf dem Gang fallen lassen. Richard wurde hellhörig.
„Ihr habt Eure Fackel fallen gelassen? In einem Korridor mit Holzfußboden?“ fragte Richard ungläubig. Diesen jungen Mann einzulassen, war *definitiv* ein Fehler gewesen. Für einen Moment dachte er darüber nach, die Tür zu Cyrils Kammer von außen abzuschließen, damit er nicht das ganze Kloster in Brand stecken konnte, aber leider wusste niemand, wo Bruder Laurs den Schlüssel gelassen hatte.
Der Mönch schritt einmal die ganze Länge des Ganges ab und kehrte dann zurück zu der Stelle, an der Cyril noch immer vor der Tür zu seiner Kammer stand, ohne den Fackelstab gefunden zu haben. Er blickte den Gast abschätzig an und sagte: „Ich kann die Fackel hier nicht finden. Seid Ihr Euch sicher, dass Ihr sie nicht in eine der Halterungen gesteckt und dort vergessen habt?“
Richard wandte sich von Cyril ab und ging in dessen Gemach. Er ließ sich auf die Knie sinken und tastete mit den Händen im Schatten unter dem Bett.
„Den hier nehme ich an mich,“ sagte er, als er sich wieder aufrichtete, Cyrils Revolver in der Hand. „Ihr erhaltet ihn zurück, wenn Ihr das Kloster verlasst. Bis dahin werde ich Eure Waffe Abt Nathaniel zur Aufbewahrung überlassen.“ Cyril schien nicht die Art von Mensch zu sein, denen man eine scharfe Waffe gefahrlos anvertrauen konnte, dachte Richard. Wieso um alles in der Welt hatte dieser eigenartige Gast ausgerechnet während seiner Nachtwache ans Tor klopfen müssen?
Richard war schon auf halbem Wege zur Tür hinaus, als er sich noch einmal umdrehte. „Ich bitte Euch, während der Nacht in Eurem Zimmer zu bleiben. Versucht, zu schlafen, oder lest meinetwegen etwas erbauliches. Ich werde morgen früh eine Stunde vor Sonnenaufgang zu Euch kommen und Euch abholen, damit Ihr Euch dem Abt vorstellen könnt.“
Richard ließ den jungen Mann in der dunklen Kammer stehen und schloss die Tür hinter sich. Er zog seine Kapuze wieder zurecht, während er in Gedanken verloren den dunklen Gang entlangging. Seine Mönchssandalen mit ihren weichen Ledersohlen ließen seinen Schritt auf den Holzbohlen fast geräuschlos werden, ganz anders als das penetrante Klacken von Cyrils Absätzen. Was für eine merkwürdige Person, dachte Richard. Dieser Cyril schien das Unglück förmlich anzuziehen und hatte im Laufe einer einzigen Nacht schon zwei Beinahe-Katastrophen ausgelöst, von der zerquetschten Kutsche ganz zu schweigen.
Richard blieb vor einem der in die Wand eingelassenen Butzenglasfenster stehen und ließ den Blick über die verschneiten Hügel schweifen. Der Mond hing als silberne Scheibe am samtig blauen Nachthimmel, und filigrane Schneeflocken schwebten geräuschlos zu Boden. In der Ferne konnte Richard das durchdringende Heulen eines Wolfes vernehmen, und ihm schauderte. Die Nacht war noch lang, und er musste bis zur Morgenandacht wachen. Mit einem Seufzen löste er sich von dem Fenster und machte sich auf den Weg zum Treppenhaus. Hier in den Wohnquartieren war es angenehm warm gewesen. Nun würde er wieder für den Rest der Nacht vergeblich versuchen, sich an dem knisternden Lagerfeuer im Hof warmzuhalten, während der Schnee seine Kutte aufweichte. Während er die steinernen Treppenstufen hinabstieg, nahm er den Revolver, den er Cyril abgenommen hatte, genauer in Augenschein. Es war ein gut gearbeitetes und vermutlich sehr teures Fabrikat, ganz anders als die Waffen, die die englischen Kriminellen in seiner Heimatstadt benutzten. Die Trommel ließ sich butterweich drehen und schwenkte ohne Widerstand aus, als Richard einen leichten Druck auf die linke Seite der Waffe ausübte. Dann stutzte er. Die Trommel hatte sechs Kammern, doch in keiner einzigen davon befand sich eine Patrone.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 9 Jul 2016 - 18:34

Die nüchterne Realität und die damit zur Schau gestellte nackte Wahrheit pochte in seiner Stirn, die von Skepsis gezeichnet war. Der weiche Tanz der Fackeln harmonisierte so sehr mit der friedlichen Leere des Ganges, dass ihm beinahe schon schlecht wurde. Er hatte doch eindeutig die Fackel in diesen Korridor getragen, die Richard auf dem Weg in den Wohntrakt mitgenommen hatte. Dann war sie ihm entglitten, als seine Hände nicht mehr die Kraft gehabt hatten, dem kalten Druck der Dunkelheit zu trotzen. Leicht neigte er den Kopf in die Richtung, aus der ihn Bruder Richards Vorwurf erreichte. Cyril schloss kurz die Augen, presste Ober- und Unterlippe aufeinander. „Sie war erloschen....“ murmelte er, mehr zu sich selbst, als an den Mönch gerichtet, der nun auch zurück in den Flur getreten war. Offenbar hatte ihn der Andere nicht vernommen, denn ohne einen weiteren Kommentar diesbezüglich schritt Richard den Gang bereits ab, suchte ebenfalls. Cyrils Blick folgte ihm, aber alles schien verdächtig harmlos. Die steinernen Wände wurden von dem warmen Fackelschein erhellt, der Boden knarzte nicht und das anhaltende Schnarchen der anderen Ordensbrüder wirkte unbeschwert friedlich. Hatten diese nicht etwas hören müssen? Cyril hatte doch geschrien, auch wenn er sich nicht wirklich an die eigene Stimme erinnern konnte. Vielleicht hatte er doch nicht geschrien? Aber er hatte die Tür hinter sich zugeschlagen, das musste in dem nächtlichen Kloster jemanden aufgeschreckt haben – oder etwa nicht? Er rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die müden Augen, strich dann mit der ganzen Hand resignierend über seine Stirn, massierte sich die Sorgenfalten fort. Das konnte doch unmöglich bloß Einbildung gewesen sein. Denn während der Rest des Universums den Anschein verbreitete, dass absolut nichts geschehen war, hatte sich das ungute Gefühl panischer Angst noch nicht ganz aus dem Bewusstsein des Lords gelöst. Doch die wenigen Schatten, die zurück geblieben waren, schienen keine Gefahr zu bergen, ebenso wenig wie die wenigen Zierelemente, die sich hier befanden. Er schenkte der steinernen Urne, die gegenüber von seiner Zimmertür in der Ecke der Sackgasse stand, einen skeptischen Blick. Darin konnte sich nichts befinden, vielleicht die Asche eines heiligen Karpfens, aber sicherlich keine mutierte exotische Karnivore-Pflanze oder etwas vergleichbar Surreales. Kurz schüttelte er diese Gedanken ab, von denen er sich fragte, ob seine Müdigkeit allmählich das Stadium abergläubischer Dummheit annahm. Zu gut klang der väterliche Rat in seinen Ohren nach. Als Cyril viel zu spät bemerkte, dass der Mönch ohne sichtbaren Erfolg zurück gekehrt war, kapitulierte er vor sich selbst. In diesem jämmerlichen Zustand konnte er nicht länger klar denken. Müde versuchte er mit dem Blick in die Augen seines Gegenübers auch die Gedanken auf Richard zu fokussieren. Cyril wollte gerade zu seiner Verteidigung ansetzten und die harsche Frage Richards beantworten, als er den Blick registrierte, den man ihm zuwarf. Offenbar hatte er es wieder einmal geschafft, sich in kürzester Zeit unbeliebt zu machen. Er beschloss nichts darauf zu erwidern und lediglich betreten beiseite zu schauen. Das es keinen Sinn machte mit Ungläubigen zu diskutieren, sollte den Mönchen sicherlich bewusst sein, wozu sollte er seine sowieso schon aufgezehrten Ressourcen aufwenden, Richard davon zu überzeugen, dass der Verlust der Fackel glaubwürdig war und nicht einem adeligen Wahnsinn entsprang.
Mit ausdrucksloser Miene beobachtete er, dass Richard seine Waffe in Gewahrsam nahm. Ein kurzes Aufflackern von Furcht durchzuckte ihn, als er verstand, dass ihm damit die Möglichkeit genommen wurde, sich zu verteidigen. Andererseits, wer wusste schon, was sein müder Geist und diese trostlose Situation, an deren Ende nur eine irische Hochzeit stand, mit einer Pistole machte. Es wollte schließlich keiner umständlich das Blut von der weiß gekalkten Wand der Wohnzelle schrubben. „Das ist wohl besser so...“ stimmte er mit einem Lächeln zu, welches derart schwach war, dass sogar halbherzig der falsche Begriff war, um es zu beschreiben. Langsam folgte er Richard in die überschaubare Wohnzelle und warf einen letzten besorgten Blick auf den Revolver. Cyril seufzte leise, als er den weiteren Instruktionen des Bruders lauschte. „Oh, Gott bewahre!“ stieß er tonlos aus „Ich habe genug von diesem Kloster gesehen! Das könnt Ihr mir ruhig glauben!“ das kalte Entsetzten war unüberhörbar. Jedoch schien der Mönch nicht in der Laune zu sein darauf einzugehen oder hatte es einfach ignoriert und schloss die Tür hinter sich, ließ den jungen Lord zurück. Eine unentwirrbare Ratlosigkeit hatte sich in seinem Kopf eingenistet. Für einige Momente starrte er noch auf die Tür, hörte, wie Bruder Richard sich entfernte und dann lautlos in die Nacht verschwand. Er hob die Handschuhe auf, die er eben so achtlos auf den Boden hatte fallen lassen, legte sie auf eines der freieren Regalbretter zu seiner Rechten. Der dicke Mantel hing immer noch schwer an seinen Schultern, sodass er vorsichtig die goldenen Knöpfe durch die Löcher schob und sich heraus wand. In Ermangelung einer zweckdienlicheren Alternative hängte er ihn am Kragen an der Ecke des Regals auf. Der Schnee hatte ihn ganz nass werden lassen und durch die wärmere Temperatur innerhalb der Klostermauern, taute der gefrorene Stoff langsam wieder auf. Immerhin hatte er die darunter befindlichen Kleidungsschichten trocken gehalten. Zumindest fühlte sich der teure Stoff des Gehrocks nicht feucht an, sodass Cyril ihn auf das Bett legen konnte, als er ihn ebenfalls ablegte. Für eine Sekunde schwankte er leicht, als bräche sein Kreislauf zusammen.Sein Kopf schwirrte, weil die Unwissenheit und die betrogenen menschlichen Sinne stark an seiner Weltanschauung nagten, ihm das solide Gerüst der Selbstsicherheit nahm. Immerhin war sein Inneres zutiefst zerrissen und uneins über die Geschehnisse, die ihn in einer so kurzen Zeitspanne mit einer solch abrupten Brutalität heimgesucht hatten. Was war das nur für ein Abend? Was hatte das zu bedeuten? Hatte es denn überhaupt etwas zu bedeuten? Träumte er vielleicht? Er blickte zu dem kleinen Tisch, der an die Wand geschoben war. Überrascht stellte er fest, dass Bruder Richard es trotz der erschreckenden und sich überschlagenden Lage geschafft hatte, den mitgebrachten Teller und den Becher Wein abzustellen, ohne das etwas zu Bruch gegangen oder verschüttet worden war. Sein Blick blieb jedoch an der Kerze hängen, deren Flamme gleichmäßig am Docht flackerte. Mit der gewohnten Eleganz, der auch seine Müdigkeit nicht abträglich war, setzte er sich. Vorsichtig hob er den kleinen Laib Brot hoch und brach ein Stück heraus, führte es an den Mund. Es war nicht ansatzweise so fein, wie das weiße Brot, welches in Hatfield House serviert wurde, aber nicht so grob und trocken, dass man davon kaum einen Bissen herunter schlucken konnte. Was die Qualität des Weines anging, behielt er sich vor unter christlichem Dach, keine unchristlichen Worte zu gebrauchen, während die Räuchersalami unerwartet würzig war und ihm tatsächlich schmeckte. Er hatte sein kleines Nachtmahl sehr langsam eingenommen und nur träge vermochte er sich zu erheben. Eine bleischwere Müdigkeit hatte sich auf seine Augenlider gesetzt, zwang ihn, ständig die Augen erneut zu öffnen. Die Last des Abends zehrte ihn auf, tilgte jeglichen Willen wach zu bleiben. Wie er es schaffte in diesem Zustand die kniehohen Stiefel aufzuschnüren und die Brokat-Weste abzulegen, war ihm nicht möglich zu rekapitulieren. Auch, dass er sich trotz seiner Vorbehalte in das Bett des eingemauerten Mönches legte, erschien ihm vollkommen nachvollziehbar. Irgendetwas zerrte an ihm, zwang sein Bewusstsein hinunter, drängte ihn in den trügerischen Schlaf. Beinahe so, als bemächtige sich irgendjemand seines Geistes, brach den letzten Widerstand, als die Lider letztlich zufielen, sich die blassen Züge entspannen. Die Dunkelheit überwältigte ihn, wies ihm den Weg in eine Nacht voller unruhiger Träume, die das Gesehene zu verarbeiten versuchten....

Als der Himmel sich über dem Meer langsam aufhellte, das Schwarz der Nacht dem Grau des Zwielichts wich, der Mond verblasste und das Heulen der Wölfe, welches die ganze Nacht über gespenstisch angehalten hatte, erstarb, da lag der schmale Körper des Lord noch in dem zerwühlten Bett. Die Leinendecke bedeckte ihn halb, lag halb auf dem Boden, weggetreten in nächtlicher Unruhe. Das Hemd aus der Hose gerutscht, zerwühlt und vom beständigen Gewälze hochgerutscht. In leisem Rhythmus hob und senkte sich die Brust des Adeligen und aus den halb geöffneten Lippen entwich der warme Atem eines Schlafenden. Als es sanft an seiner Tür klopfte, vernahm er dies nicht, verzog nur leicht das Gesicht, wandte den Rücken der Quelle des Geräusches zu, winkelte die Beine an.
Auch auf ein wiederholtes, lauteres, Klopfen folgte keine nennenswerte Reaktion. Cyril war gefangen, gefangen im Traum...
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyFr 15 Jul 2016 - 13:44

Huch? War es nicht gerade eben noch bedeutend dunkler gewesen? Wo war der Mond, wo die Sterne? Bruder Richard blinzelte verwirrt zu dem blaugrauen Himmel hinauf. Nur sehr langsam konnte sich sein ermatteter Geist zusammenreimen, was geschehen war. Anscheinend war es eine schlechte Idee gewesen, sich dieses kleine Fass als Sitzgelegenheit ans Lagerfeuer zu stellen. Er war wohl während seiner Nachtwache eingenickt. Richard schalt sich in Gedanken selbst. So etwas war ihm in all seiner Zeit im Kloster noch nicht einmal widerfahren. Das hätte nicht passieren dürfen!
Zumindest schien noch keiner seiner Brüder den Fauxpas bemerkt zu haben. Die Schneedecke im Innenhof war noch aller Orten glatt und rein. Selbst Richards Fußspuren von vor einigen Stunden hatte der noch immer fallende Schnee mittlerweile wieder zugedeckt. Nichts deutete darauf hin, dass bereits jemand außer ihm auf den Beinen war.
Der Mönch zog seine Kutte enger um seinen Leib. Das Lagerfeuer war, ohne jemanden, der es in Gang hielt, längst heruntergebrannt. Frustriert versetzte Richard dem Fässchen, auf dem er gehockt hatte, einen Fußtritt, der es durch den Schnee purzeln lies. Jähzorn war die Todsünde, mit der Richard schon immer am meisten zu kämpfen gehabt hatte.
Es half alles nichts. Der Blick zu der schlichten Uhr am Turm der Klosterkapelle verriet Richard, dass er noch eine gute halbe Stunde Zeit hatte, bevor sich die Brüder zur Morgenandacht versammeln würden. Zeit genug, um seine vom Schnee durchweichte Kutte gegen ein neues Gewand einzutauschen und sich am Kaminfeuer ein wenig aufzuwärmen.
Mit einem wenig eleganten Grunzen streckte Richard die schmerzenden Glieder. Die wenigen Stunden unerlaubten Schlafens waren alles andere als Erholsam gewesen. Wie gerne hätte Richard den Tag im Bett verbracht, doch er wusste, dass dies kaum möglich sein dürfte. Im Kloster Mosney wurde der Grundsatz „Ora et Labora“ noch sehr ernst genommen, und irgendeine Aufgabe fiel eigentlich immer an.
In seiner kargen Zelle im Wohntrakt entledigte Richard sich seiner aufgeweichten Kutte und zog stattdessen ein neues, nahezu identisches Gewand an. Als er das getragene Kleidungsstück über den Bettpfosten hängte, viel ein Gegenstand mit einem lauten, metallenen Scheppern aus einer der angenähten Taschen. Cyrils Revolver! Verflucht, den hatte er ja ganz vergessen. Er hatte vorgehabt, die Waffe Abt Nathaniel zur Aufbewahrung zu überlassen, doch nun zögerte er. Der Revolver sah wirklich sehr hochwertig aus, und er war unter Garantie eine potentere Waffe als der kleine Dolch, den Richard sonst zum Selbstschutz mit sich führte. Durch das geschlossene Fenster drang ein letztes, schauerliches Heulen herein, vermutlich das letzte, bevor die Wölfe sich bei Tagesanbruch in ihre Verstecke zurückziehen würden. Richard rieb sich die müden Augen und wog dann die konfiszierte Schusswaffe in seiner Hand ab. Angesichts der beunruhigenden Ereignisse des vergangenen Tages wäre es vielleicht klug, ein wenig aufzurüsten.
Richard bekam immer mehr den Eindruck, dass die dunklen Dinge, die er in Leeds gesehen hatten, ihm bis hierher gefolgt waren, und auch die Klostermauern keinen dauerhaften Schutz bieten konnten. Kurzentschlossen ging er zu der hölzernen Truhe, die unter dem Fenster stand. Es war ein schlichtes Möbelstück, aber solide erarbeitet und mit einem großen Schloss versehen. Den Schlüssel zu selbigem trug Richard stets bei sich, weniger, weil er seine Brüder für langfingerige Diebe hielt und mehr, weil er die Gewohnheiten, die er sich bei seinem Leben am Rande der Unterwelt angeeignet hatte, schwer abzulegen waren.
Er verstaute den Revolver am Boden der Truhe, wo er nicht sofort zu sehen war, und vergewisserte sich, dass er die selbige gut verschlossen hatte, und machte sich dann auf zur Morgenandacht. Er hoffte inständig, dass die Unterredung mit Abt Nathaniel kurz verlaufen würde, und dass der Abt Cyril so schnell aus dem Kloster jagen würde, dass dieser noch nicht einmal die Zeit hätte, seinen Revolver zurückzufordern. Ja, das war ein guter Plan!
Auf dem Weg in die Kapelle traf Richard auf mehr und mehr seiner Brüder, die in die gleiche Richtung gingen. Dem ein oder anderen Bruder, den er näher kannte, nickte er zur morgendlichen Begrüßung zu, aber er fing keine Gespräche an. Nach allem, was letzte Nacht geschehen war, befand sich Richard nicht in Gesprächslaune. Stumm reihte er sich in den Zug der in identische grüne Kutten gekleideten Mönche ein, der durch den frisch gefallenen Schnee des Innenhofes stapfte und die Treppen zum Portal der Kapelle erklomm.
Die Andacht selbst verlief unspektakulär. Der Abt rezitierte diverse Gebete und Psalme, die von den versammelten Mönchen aufgenommen und wiederholt wurden. Als schließlich das Acht Uhr Leuten erklang und die Morgenandacht für beendet erklärt wurde, schloss Richard sich nicht dem Tross seiner Mitbrüder an, die in Richtung des Speisesaals strebten. Einen, der ihm vertraut war, Bruder Jonathan, hielt er kurz an um ihn im Flüsterton anzusprechen: „Bruder, ich wünsche Dir einen gesegneten Morgen. Hört zu, gestern Nacht erschien ein Gast im Kloster, der mir nicht Recht geheuer ist. Ich möchte ihn dem Abt vorführen, ohne, dass sich die Kunde seiner Ankunft im ganzen Kloster verbreitet. Ich bitte dich, unserem Abt in einem unbeobachteten Moment meine Grüße und die folgende Bitte zu überbringen: Sat ihm, er möge vor allen anderen den Frühstückstisch verlassen, um mich und den Neuankömmling in seinem Arbeitszimmer zu treffen. Allen anderen Brüdern gegenüber bitte ich dich, Stillschweigen über unseren Gast zu bewahren. Wir wissen beide, wie leicht erregbar einige von ihnen sind. Wir wollen sie doch nicht unnötig in Sorge stürzen.“
Bruder Jonathan nickte die Instruktionen wortlos ab, nur bei der Erwähnung des Gastes trat für einen kurzen Augenblick ein gehetzter Ausdruck in sein ausgemergeltes Gesicht. Richard bedankte sich bei seinem Bruder, dann wandte er sich in die entgegengesetzte Richtung. Während sich der Großteil seiner Brüder, abzüglich derer, die gerade Fasteten oder sonstige Vorhaben hatten, zum Speisesaal begaben, schlug Richard den anderen Weg zu den Wohnquartieren ein. Obwohl der Schneefall mittlerweile aufgehört hatte und die ersten Schlieren auf feurigem Orange den Aufgang der Sonne ankündigten, behielt Richard seine Kapuze auf.
Wie er gehofft hatte, waren die Gänge des Wohngebäudes menschenleer. Es würde keine neugierigen Blicke geben, wenn er Cyril zum Arbeitszimmer es Abtes geleitete, dass auf der anderen Seite des Klosterbaus lag. Als er in den Gang einbog, in dem Cyrils Kammer lag, und er die Urne passierte, welche die Asche eines heiligen, mehrfach verbrannten Karpfens enthielt, bekreuzigte er sich und sandte ein kurzes Stoßgebet an den Himmel, in dem er für die Einsichtigkeit des Abtes betete. Dann klopfte er leicht an die hölzerne Tür. Keine Reaktion. Offensichtlich schlief dieses verwöhnte Bürschlein noch. Richard klopfte erneut, dieses mal mit mehr Nachdruck. Erneut blieb es auf der anderen Seite der Tür stumm.
Richard hatte keine Zeit für so etwas. Je eher er Abt Nathaniel davon überzeugt haben würde, dass Cyril eine Bedrohung darstellte, desto eher würde der junge Lord des Klosters verwiesen werden und Ruhe und Frieden nach Mosney zurückkehren. Kurzerhand drückte er die Klinke herunter, durchschritt die kleine Kammer und betrachtete Cyril, der scheinbar noch immer im Tiefschlaf steckte. Der junge Mann sah nun weniger gestriegelt aus, als bei seiner Ankunft. Er war zerzaust und unordentlich, was ihn in Richards Augen ein wenig sympathischer wirken lies. Mit einer beherzten Bewegung griff Richard nach der Schulter des Schlafenden und rüttelte ihn energisch.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyFr 15 Jul 2016 - 21:15

Regen. Ganz sanft kribbelte es auf seiner Haut, wenn die Tropfen ihn trafen. Er spürte die Spuren, die das Wasser hinterließ, als es sich seinen Weg über den Körper bahnte und sich an seinen Zehen sammelte. Vorsichtig öffnete er die Augen, senkte das Kinn, sah, dass er nackt war. Um ihn herum war alles karg, öde und leer. Erst jetzt bemerkte er, dass das Wasser langsam aber sicher stieg, bereits bis an seine Knöchel gestiegen war. Der Versuch zu gehen, stemmte sich gegen die Bewegungslosigkeit. Die Beine gehorchten nicht. Das Wasser stieg. Mit purer Willenskraft löste er den linken Fuß aus der Starre, zwang den rechten ebenfalls. Mittlerweile stand es ihm bis zu den Knien. Er blickte sich suchend um. Mühsam kämpfte er sich durch das Wasser, kam nur langsam voran. Das Wasser berührte seinen Bauchnabel, kletterte unaufhaltsam seinen Oberkörper hinauf. Ein Blick zum Firmament ließ ihn erkennen, dass es keine Sterne gab, ein schmierig graues Band durchzog den ansonsten blutroten Himmel. Das Wasser erreichte sein Kinn. Er schluckte. Mit nach hinten gesenktem Kopf sog er die schwere Luft ein, atmete tief ein. Das Wasser stieg bis an die Lippen, - was war das? -, die Nase – war es eine Insel? - die Augen – ein Gebäude auf trockenem Boden? - dann verschluckte es ihn. Der Himmel schimmerte durch das Wasser, färbte es wie Blut. Der Drang nach Luft zu holen, klägliches Scheitern ihn zurück zu halten, dann schluckte er das salzig schmeckende Nass. Es wurde dunkel, dunkler und – dann klärte es sich auf.
-
Er irrte umher. Atemlos. Seine Füße schmerzten. Er wandte sich nach rechts, hinein in den Gang, der sich auftat. Hinter ihm zischte etwas durch die Luft, die Wand barst in tausende Teile. Die winzigen Steinsplitter prallten von seiner Haut ab. Das war knapp gewesen. Ein hohes Lachen hallte kreischend von den Wänden wieder, verlor sich in den unzähligen Echos. Keine Zeit. Er rannte. Keine Zeit. Die Splitter schnitten durch die weiche Haut seiner Füße. Keine – der Gang schien in die Unendlichkeit dieses Gebäudes zu führen, dessen Baustil, er nicht vollständig erkennen konnte. Da war es wieder. Dieses Geräusch. Hektisch riss er den Kopf über die Schulter. Er sah den Schatten. Druck baute sich auf. Druck schmerzte in seinen Ohren, betäubte ihn. Der panische Atem zerrieselte zu feinen Eiskristallen. Da war sie wieder. Die Kälte. Sie kroch über seinen Leib. Der Schatten kam näher, verschluckte das Licht. Hektisch stolperte er weiter, fing sich, rannte. Links. Rechts. Einatmen. Rechts. Weiterrennen. Rechts und dann wieder rechts. Er drückte die Hand in seine Seite, stützte sich keuchend gegen die Wand. Zu spät merkte er,  was er getan hatte und warum sich der Schatten nur zu ihm umwenden brauchte. Etwas riss hin zu Boden, der Schatten stürzte in seine Richtung. Den Arm hoch gerissen. Zum Schutz. Er richtete die Finger auf das Zentrum der Finsternis, die sich den Gang hinauf kämpfte. Es wurde kurz gleißend hell. Er keuchte, dann wurde es schwarz. Das Gefühl in die Ewigkeit zu stürzen. War es kalt? War es laut? Betäubt, verschwammen die Umrisse der Dunkelheit erneut.
-
Wo war er? Sein Kopf schmerzte, als er ihn in die Hände stütze. Die Dunkelheit hellte sich zu einer Dämmerung auf. Er saß auf kaltem Boden, die Knie angewinkelt. Panik. Sein Herz schlug härter. Er sprang auf die Beine, brach wieder zusammen, hustete ein trockenes Röcheln hoch. Er krabbelte an die eine Mauer, zog sich daran hinauf, stemmte sich dann dagegen. Seine Nägel rissen ein, Blut quoll hervor, lief die blassen Hände hinab. Es war eng. Nur zwei Schritte trennten ihn von der gegenüberliegenden Wand. Kalter Stein. Solide. Unnachgiebig. Er blickte sich um. Es gab keinen Ausweg. Er war gefangen. Meterhoch umringten ihn Mauern, von allen Seiten.
Etwas brachte diese düstere Kulisse dazu, sich aufzulösen, langsam aber sicher zurück zu weichen. Ein kaum merklicher Ruck drang bis in die Tiefe dieser Träume zu ihm hindurch, brachte die Mauern dazu, umzustürzen. Das Rütteln, das ihn aus den Traumfesseln riss, weckte mit dem müden Körper nicht nur den Geist, sondern auch den Reflex nach der Hand zu greifen, die er als Quelle dieser Störung ausmachen konnte. Cyrils Finger schlossen sich um die Hand, drückten sie mit der Wut eines Geweckten beiseite und hielten sie in ausreichend sicherem Abstand. Benebelt vom Halbschlaf und verwirrt von der Abruptheit des morgendlichen Umgangs, fuhr er herum. „Alexander! Was fällt Euch e-“ er verstummte augenblicklich, als der Mönch seinen Augen gewahr wurde. Intuitiv war er davon ausgegangen, dass sein Kutscher die Dreistigkeit gefunden hatte, ihn derart rüpelhaft zu wecken. Doch anstelle des Mittvierzigers stand nun diese scheußlich grüne Kutte vor ihm. Die blauen Augen weiteten sich kurz, bezeugten die noch nicht ganz realisierte Überraschung. Der Gedanke, der sich fragte, wo er sich denn eigentlich befand, kletterte auf seine Lippen, verstummte dort jedoch. Langsam tröpfelte die Erinnerung in sein Bewusstsein. Die Enge der kläglich ausgestatteten Wohnkammer war erfüllt mit dem schalen Luft verbrauchter Luft, der Wärme eines schlafenden Menschen. In diesem kurzen Moment mentaler Paralyse hatte Cyril Richard wieder losgelassen, als seine Hand auf die Strohmatratze fiel, kehrte er vollständig zurück in das Hier und Jetzt. „Was wagt Ihr?“ fuhr er Richard an und schürzte die Lippen. „Ihr könnt doch nicht einfach so an mir herum reißen!“ gestikulierte er aufgebracht und war innerhalb einer fließenden Bewegung auf den Beinen, schüttelte entsetzt den Kopf. Dabei fiel ihm erst auf, dass sein Hemd in der Nacht aufgegangen war und plötzlich halbherzig seinen Oberkörper bedeckte. Augenblicklich errötete er unter der blassen Haut. „Seht sofort weg!“ brachte er schrill hervor und griff panisch nach den Enden des Hemdes, versuchte sich mit zusammen gezogenen Armen vor den Blicken des Mönches abzuschirmen. Die Nacktheit in seinem Traum schwappte aus seinem Traum von innen an seine Lider, drängte ihm die Bilder wieder auf. „Ihr elender Perverser! Wie lange steht Ihr denn schon hier?!“
So schnell es ihm möglich war, schob er die Knöpfe wieder zurück in die dafür vorgesehenen Knopflöcher, dabei musste er natürlich einen Fehler begehen und erneut anfangen, bis schließlich alles seine Richtigkeit hatte. Normalerweise hatte man dafür ja auch einen Butler! Provisorisch glättete er den zerwühlten Stoff.
Augenblicklich fühlte er sich besser, weniger entblößt und ausgeliefert. Er schlüpfte in die Schuhe, die noch vor dem Bett standen, schnürte die Maschen, bis er sie mit einer Schleife verschloss. Dann richtete er sich auf. „Bruder Richard!“ begann er, seine Stimme wieder gewohnt kühl und distanziert „Ihr steht mir im Weg.“ Dann umrundete er den Mönch – so gut, wie es in diesem kleinen Raum möglich war –  und griff nach der Weste, die über der Stuhllehne lag. Noch ehe er die Gelegenheit dazu hatte, diese zu zuknöpfen, begegnete er erneut dem Blick des Mönchen. Schnell fuhr er sich in die halblangen Haare, die sich im Schlaf ineinander verknotet haben mussten. Er musste ganz furchtbar aussehen. Erneut legte sich Scham in seine Züge. „Ich bin überhaupt nicht salonfähig!“ echauffierte er sich geziert von Unbehagen, wandte sich leicht ab, um kammartig mit den Fingern seine Frisur halbwegs wieder herzustellen. „Gibt es hier denn überhaupt keine Privatsphäre?“
Irgendwie hatte er gehofft, dass das Ganze auch nur ein böser Traum gewesen war. Ohne Küste, Kutsche, Kloster und insbesondere ohne diesen Bruder Richard!!!

~~

Mit einem durchaus nicht unzufriedenen Lächeln rückte er seinen Stuhl zurecht, den er am Kopf der Tafel inne hatte, die sich im Speisesaal befand. Es war ein recht großer Raum, der sich zu ebener Erde, direkt neben der Küche befand. Als Abt gebührte ihm natürlich dieser reichlich verzierte Stuhl mit allerhand wunderlichen Schnitzereien, die man besser nicht allzu lang beäugte. Etwas Krudes lag immer darin, wenn man versuchte überirdische Dinge mit Kunst zu bannen. Er sprach das Morgengebet im Kreise seiner Brüder und begann dann sein üppiges Frühstück zu verspeisen. Er war ganz der Meinung, dass die Last des Kreuzes und des Verstandes nur von einem gut genährten Fundament getragen werden konnte und die Zeit der Leibesertüchtigung war für ihn längst vorbei. Da Völlerei natürlich äußerst ungern gesehen wurde, musste er natürlich ein wenig Rücksicht nehmen. Nichtsdestotrotz ließ er sich Pastete zum Frühstück dennoch nicht entgehen. Umso mürrischer hob er die Augenbraue, als sich dieser hagere Bruder Jonathan sich leise räuspernd hinter seinen Stuhl stellte. Was wollte der denn? Sah er nicht, dass er gerade beschäftigt war. Kauend ignorierte er das leise Räuspern.
Dennoch schien es Bruder Jonathan ernst zu sein, denn schließlich lehnte er sich vor. „Euer Gnaden, ich komme im Auftrag unseres Bruders Richard, er möchte, dass ich Euch eine Nachricht zukommen lasse.“
Der Abt richtete seine dunklen Augen auf das hagere Gesicht des Mönches, der bei dem Anblick leicht zurück schreckte. „Was kann so wichtig sein, dass Bruder Richard mich bei meinem Frühstück stören lässt?“ Trotz der üblen Laune, die ein leerer Magen ihm bereitete, war die Stimme des Abtes wie gewohnt ruhig und freundlich.
„Er-“ Jonathan schluckte und senkte seine Stimme „Er spricht von einem Gast, der in der Nacht angekommen ist, Euer Gnaden. Bruder Richard möchte ihn unbemerkt zu Eurem Arbeitszimmer bringen und Euer Gnaden entscheiden lassen, was zu tun ist.“ Und noch ehe sein Vorgesetzter die Möglichkeit haben konnte, ihm zu antworten, verneigte er sich demütig und zog sich zurück.
Überrascht blickte der Abt Jonathan hinterher, schnalzte mit der Zunge. Soso? Ein Gast also? Das mochte ja äußerst sonderbar sein, aber darum würde er sich nicht kümmern, ohne vorher seine Pastete verspeist zu haben. Das wäre ja Verschwendung.
Schließlich rückte er den Stuhl reichlich unbeeindruckt zurück, drückte sich auf die Beine. Dann wollte er sich diesen Gast einmal anschauen...
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyMi 20 Jul 2016 - 17:41

Cyrils Reaktion auf Richards unsanfte Weckmethode war voraussehbar grantig. Er schlug Richards Hand beiseite und machte seinem Unmut lautstark Luft. Richard registrierte, dass Cyril ihn als „Alexander“ ansprach, was wohl der Name eines seiner Diener war.
„Ihr irrt Euch. Ich bin Bruder Richard, und ich war es, der Euch gestern vorübergehend Obdach hinter den Mauern unseres Klosters gewährt hat,“ erklärte Richard geduldig. „Ich habe in wenigen Minuten eine Unterredung mit Abt Nathaniel vereinbart. Sputet Euch und zieht Eure Schuhe an, wir wollen den Abt nicht warten lassen!“
Anscheinend brauchte der junge Lord einige Augenblicke um zu begreifen, dass er sich im Kloster Mosney und fernab seines gewohnten Luxus' befand, und dass sein Wohl und Wehe nun vom Urteil des Abtes abhängig war. Anders konnte sich Richard die mangelnde Demut des jungen Adligen nicht erklären, als dieser ihn erneut aufs Gröbste anfuhr und ihn dann sogar einen Perversen nannte.
„Ich konnte Euch durch bloßes Klopfen an der Zimmertür nicht aufwecken. Also sah ich keine andere Möglichkeit, als hereinzukommen und eine direktere Weckmethode anzuwenden.“
Richard konnte sich ein Grinsen ob des Vorwurfes der Spannerei nicht verkneifen. Glaubte dieser Cyril tatsächlich, dass Richard noch nie fremdes Fleisch gesehen hatte? Weder im Leben als Krimineller, noch in den beengten Verhältnissen des Klosters hatte Richard je das Maß an Privatsphäre genossen, mit der Cyril anscheinend aufgewachsen war, dass ihn ein paar offene Hemdsknöpfe erröten ließen wie eine unschuldige Jungfer. Obschon Richard nicht umhinkonnte, zu bemerken, dass das, was er sah, durchaus seine Zustimmung fand.
Der junge Lord hatte derweil begonnen, sich mit den Fingern durch die ramponierte Frisur zu fahren, derweil er sich darüber beklagte, nicht salonfähig zu sein. Ein paar Sekunden lies Richard ihn gewähren, dann sagte er energisch: „Es reicht jetzt. Eure Haare sind gut so, wie sie sind. Kommt nun, ich habe den Abt extra vom Frühstückstisch rufen lassen, damit er Euch empfängt, bevor alles voller neugieriger Blicke ist!“
Auch aus anderen Gründen war Richard daran gelegen, dass Cyril nicht allzu viel Zeit auf seine Haarpflege verwandte. Zum einen, weil er den Anblick von Cyril mit zerzausten Haaren irgendwie mochte, aber vor allem, weil er hoffte, dass es einfacher sein würde, den Abt von der Gefährlichkeit des Gastes zu überzeugen, wenn selbiger möglichst derangiert aussah.
„Es ist Zeit, Cyril. Lasst von Euren Haaren ab und folgt mir.“
Richard führte Cyril nicht auf dem direkten Wege quer über den Innenhof zum Arbeitszimmer des Abtes, sondern wählte eine längere, dafür aber schwerer einzusehende Route, die einmal das gesamte Kloster umrundete. Diese hatte den Vorteil, dass die beiden, mit Ausnahme eines kurzen Stücks am Tor, nahezu den ganzen Weg im Warmen der Gebäude zurücklegen konnten. Die Gänge des Wohntraktes waren noch immer leer, und ohne Zwischenfall erreichten sie die Treppe, die hinunter zum Eingangsportal führte. Dort mussten ein kurzes Stück Weges im Freien zurücklegen, vorbei an dem hölzernen Tor, durch das der junge Lord vor einigen Stunden das Innere der Klostermauern betreten hatte, in Begleitung eines vagen Gefühls der Bedrohung, das seither an Richard nagte. Er hatte das urplötzliche Unwohlsein, dass ihn beim Blick hinaus in die Nacht hatte, ebenso wenig vergessen wie das ungewöhnliche Verhalten von Bruder Laurs.
Im Vorbeigehen warf Richard einen prüfenden Blick auf den hölzernen Riegel, der das Tor noch immer von Innen verschloss. Es sah nicht so aus, als hätte jemand oder etwas versucht, sich an dieser Stelle gewaltsam Zutritt zum Inneren des Klosters zu verschaffen. Richard macht sich in Gedanken eine Notiz, später am Tag auch die kleine Pforte nahe der Kapelle zu überprüfen, die der einzige andere Zugang zum Inneren der Umfriedung war.
Ein Teil von ihm war sich im Klaren darüber, dass die Tore auf Einbruchsspuren zu überprüfen Unsinn war. Er wusste genug über die Geschöpfe des Bösen um sich im klaren darüber zu sein, dass sich die meisten von ihnen nicht mit Mauern und Toren aussperren ließen. Nur die unbefleckte Reinheit der geheiligten Klostererde bot ein gewisses Maß an Schutz, oder so hoffte Richard zumindest. In Gedanken sandte er ein stummes Gebet gen Himmel und flehte um den Beistand der Erzengel Gabriel und Uriel.
Richard öffnete die hölzerne Tür, die sich auf der anderen Seite der Eingangspforte neben den Stallungen befand. Die paar Esel, die das Kloster unterhielt, streckten ihre Köpfe ins Freie, wahrscheinlich, weil sie noch auf ihr Futter warteten, doch Richard hatte keine Zeit, sie zu versorgen.
Die Werkstatt des Klosters und die Schreibstube waren noch gänzlich unbelebt, da die Brüder noch immer im Refektorium zu Tische saßen. Der Geruch alter Tinte erfüllte diesen Teil des Klosters, und Richard konnte nicht umhin, den jungen Gast auf einige der hier lagernden Kostbarkeiten hinzuweisen. Prunkvolle Codices aus dem 13. und 14. Jahrhundert, in Gold gefasst und prächtig bebildert. Auch die Räumlichkeiten selbst waren sehenswert. Zwar bestanden die Wände hier, ähnlich wie in den meisten Abschnitten des Klosters, bloß aus graubraunem Stein, doch die Kunstfertigkeit, mit der über den Türrahmen und an den Säulen, die die gewölbte Decke trugen, filigrane Steinmetz arbeiten angebracht worden waren, die christliche Symbolik mit traditioneller keltischer Ästhetik vermischten, musste dem jungen Adligen einfach ein gewisses Maß an Bewunderung abnötigen, fand Richard. Auch, wenn er wollte, dass Cyril verschwand, so war es ihm doch irgendwie wichtig, dass er ihn und seine Brüder nicht für unzivilisiert oder kulturlos hielt.
„Solche Dekorationen sind eine irische Besonderheit,“ erklärte Richard, während sie das große Scriptorum durchquerten. „In den Klosters des Festlandes gibt es solche Schönheit selten. Der französische Abt Bernhard von Clairvaux soll sich, als er einmal in einem irischen Kloster zu Gast war, echauffiert haben, dass es bei solch kunstvoller Ausgestaltung der Räumlichkeiten angenehmer sei, den Stein zu betrachten und den ganzen Tag mit der Bewunderung dieser Dinge zuzubringen als mit der Meditation über das göttliche Gesetz."
An der Westseite des Skriptoriums führte ein gemauerter Durchgang, der von einem aus Stein gehauenem Löwenkopf beschützt wurde, in einen kurzen Korridor, an dessen linken Ende sich eine Treppe ins Obergeschoss befand.
Am oberen Ende der Treppe angekommen sah Richard, dass die Tür zum Arbeitszimmer des Abtes noch geschlossen war. Anscheinend hatte Abt Nathaniel Richards Ersuchen als nicht derart dringend eingestuft, dass er dafür das Frühstück hätte ausfallen lassen. Richard klopfte probeweise an der Tür aus schwerem Eichenholz, in die allerlei Schutzsymbole eingearbeitet waren, sowohl christliche als auch deutlich ältere und exotischere, deren Bedeutung der junge Mönch noch nicht kannte. Als er wie erwartet keine Antwort erhielt, setzte er sich auf einen der einfachen Holzstühle, die für Besucher in dem Gang bereitstanden. Ein Feuer prasselte in dem gemauerten Kamin gegenüber der Tür zum Arbeitszimmer und verbreitete eine wohlige Wärme.
„Sieht aus, als müssten wir uns noch ein paar Minuten in Geduld üben, Cyril. Abt Nathaniel ist ein ehrenwerter Mann, aber er ist auch mit einem großen Appetit gesegnet und scheint noch bei Tische zu sein.“
Einen Moment lang schaute Richard in das knisternde Kaminfeuer. Er hatte vorgehabt, Cyril nach dem Unfall mit der Kutsche zu fragen. Ob er etwas Merkwürdiges gesehen oder gespürt hatte, dass sich mit der unbestimmten Furcht deckte, die er selbst beim Blick in die Nacht gefühlt hatte.
„Cyril, hört zu, es ist eine seltsame Frage, aber vergangene Nacht, als ich Euch das Tor öffnete, da ließ ich meinen Blick hinaus in die Nacht schweifen, und da war es mir so, als ob... als ob ich beobachtet würde und mich eine unsichtbare Faust mit Eiseskälte umklammerte. Es war wahrscheinlich nur eine besonders steife Brise, die vom Meer hergeweht kam, aber ich wollte Euch fragen, ob Ihr bei Eurem Unfall oder auf dem Weg den Hügel hinauf...“
Richard verstummte, als er der schweren Schritte Gewahr wurde, die in einem langsamen Rhythmus auf der Treppe zu hören waren. Jeder Schritt wurde von dem metallischen Klirren der schweren Kruzifixhalskette untermalt, die Abt Nathaniel stets trug. Richard erhob sich von dem Stuhl, auf dem er saß, um den Abt mit gebührendem Respekt zu begrüßen.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyFr 22 Jul 2016 - 22:18

Mit beispielloser Härte riss ihn dieser Mönch aus seinen Gedanken, die sich mit Problemen beschäftigten, die man nur haben konnte, wenn man es gewohnt war, in Luxus zu schwelgen. Der Blick der blauen Augen zeigte sich ein wenig kindlich entgeistert, als man von ihm verlangte sich weniger auf das Richten der Haare, als auf einen Termin mit der Klosterführung zu konzentrieren. Kannte dieser Mönch denn überhaupt kein Erbarmen? Nach all den überaus logischen Ausflüchten, die das rüpelhafte Verhalten seines Retters zu rechtfertigen versucht hatten? Immerhin war Cyril auch überaus gnädig mit ihm. Er könnte sich auch schreiend zu Boden werfen und mit beiden Händen immer wieder auf die Dielen schlagen und nach seiner Mami rufen. Was würde Bruder Richard dann tun? Ihn womöglich höchstgradig autoritär mit einem Cricketschläger malträtieren? Nur gut, dass sich seine blaublütige Erhabenheit derartig von diesem Muskelprotz im Wollkleid unterschied, weniger barbarisch war. Aber Zivilisiertheit war eben eine Bürde, die nur wenige stetig zu tragen vermochten. Elegant tauschte er seinen Unmut in ein aufgebrachtes Aufseufzen. „Verzeiht bitte, aber ich kann meine Haare nicht unter einer Kapuze verstecken.“ kommentierte er schnippisch und bereute, dass es hier keine spiegelnden Oberflächen gab. Immerhin kannte er die gesellschaftlichen Gepflogenheiten und wusste, dass es sich überhaupt nicht anschickte, in geschlossenen Räumen mit Kopfbedeckung herum zu stolzieren, insbesondere im Hause des Herrn. Aber was konnte man schon von einem Haufen Ir(r)en in einem Kloster irgendwo in der irischen Einöde erwarten?
Für den Bruchteil eines Gedankens erschien es ihm als sein angeborenes Recht, einfach in seiner Kammer zu bleiben und solange herum zu zetern, bis man ihm die gewünschte Morgentoilette ermöglichte. Da Bruder Richard jedoch bereits auf den Gang hinaus gegangen war und seine letzten Worte so bestimmend nachklangen, entschied er sich gegen diese Intuition. Immerhin war er auf das Wohlwollen dieser Mönche – insbesondere ihres Abtes – angewiesen, wenn er nicht wieder zurück in die zugeschneite Küstenregion entlassen werden wollte. Auch wenn es ihm als ein fahrlässiges Verbrechen wider die Krone erschien, einen Hilfesuchenden aus der Oberschicht dem Erfrierungstod auszusetzen, wusste er, dass die Realität außerhalb der höfischen Ränge, oftmals nicht ganz so schillernd war. Es würde also an ihm selbst liegen sich mit dem Abt gut zu stellen und seine höfische Etikette mit weltlicher Diplomatie zu vereinen, wenn ihm schon die religiöse Überzeugung fehlte. Also streifte er sich seinen Rock über, griff nach seinem Mantel und folgte Bruder Richard in den Gang hinaus. Während er die einzelnen Knöpfe seiner Kleidungsstücke zu knöpfte und dem Mönch durch den Gang folgte, blickte er sich immer noch leicht skeptisch um. Dennoch schien der Korridor harmlos zu sein, selbst, wenn einige Fackeln über die Nacht erloschen waren, lag alles im warmen Licht des Feuers und die Schatten schienen keine grausigen Monster zu verbergen. Der junge Lord musste jedoch trotzdem erleichtert aufatmen, als sie den Gang zu den Zimmern verlassen hatten und den Weg zum Treppenturm einschlugen. Still folgte er dem Mönch, nutzte die unbeobachtete Zeit, um erneut einige Male durch die wilden blonden Strähnen zu fahren.
Nachdem sie die Treppen hinab gestiegen waren, folgte er Bruder Richard in die Kälte des Wintermorgens. Sie passierten das Tor und als Cyril sich umschaute, erkannte er in der Morgendämmerung nur schemenhaft die Ausmaße des Innenhofes. Das große Feuer, welches in der Nacht noch hell gebrannt hatte, war zu einem glühenden Haufen herunter gebrannt. Unwillkürlich zog er den Mantel zu, um sich vor der Kälte zu schützen. Alles, was sich hier regte, waren ein paar Esel, die müde in die Dämmerung blökten und damit darauf aufmerksam machten, dass es hier nach Stallung, Tier und feuchtem Heu roch. Auch wenn sie nach Cyrils Meinung viel zu nah daran vorbei mussten, war ihr Ziel eine Tür, die sich daneben befand. Die dahinter befindliche Treppe war von der Häufigkeit ihrer Benutzung stark ausgetreten und führte zu einer Flügeltür, hinter der sich die Bibliothek des Klosters befand. Hier war die Luft direkt viel trockener und wärmer, damit die schweren Folianten und altertümlichen Schriften nicht von Schimmel oder Pilzen befallen wurden. In der Mitte des Raumes standen einige Pulte und Tische, die von der hier vollbrachten Arbeit zeugten, während sich zu den Seiten die Bücherregale auftaten. Widerwillig musste Cyril sich gestehen, dass es ihm gefiel.
Aus dem Umherschauen gerissen, fokussierte er das Gesicht des Mönches, welches sich wieder zu ihm gewandt hatte, als Richard ihm einige Informationen über die Kunstfertigkeit der Architektur mitteilte. So präzise er einige der hier lagernden Werke betiteln konnte und sich seine Stimme dabei aufhellte, schien sich Richard hier äußerst gern aufzuhalten.
„Äußerst beeindruckend, Bruder Richard.“ brach Cyril sein Schweigen und folgte der Weisung zu einem besonders prächtigen Symbol in der Wand. Die darauf folgende Anekdote ließ Cyril leicht skeptisch die Augenbrauen heben. Da schien jemand aber mächtig stolz auf das zu sein, was er irgendwo aufgeschnappt hatte, denn Cyril glaubte nicht, dass Richard jemals die Inseln verlassen hatte und sich ein Bild von der Kunstfertigkeit des Festlandes machen konnte, geschweige denn jemals einen Franzosen gesehen hatte. Wahrscheinlicher war es daher, dass Richard absolut überhaupt keine Ahnung davon haben konnte, was die großen Nationen zu bieten hatten. Schwerlich konnte sich Cyril vorstellen, dass Richard etwa Französisch sprach oder irgendeine andere französische (Kultur-)Praktik beherrschte. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, was Bruder Richard wohl dazu bewogen hatte in dieses Kloster einzutreten. Wenn man ihn einmal rein körperlich betrachtete, war er viel zu kräftig und zu jung, um zu einem dieser verstaubten Ordensbrüder zu gehören. Und wie betont er immer zu Sprechen beliebte, als wäre es seine natürliche Ausdrucksweise, verriet er dabei jedoch, dass dem überhaupt nicht so sein konnte. Cyril kannte sich damit aus. Jetzt, wo die Industrielle Revolution die moderne Welt mit Fortschritt und Wirtschaftswachstum gesegnet hatte, bildeten sich viele dieser neureichen Großunternehmer ein, dass sie nur dadurch adlig würden, indem sie den klischeehaften Lebensstil inszenierten. Dass der wahre Adel und die wahren Mächtigen, es überhaupt nicht nötig hatten, eine goldene Vase oder das gute Porzellan aus Deutschland zu drapieren, weil es für sie letztendlich Standard war, entging den einfachen Geistern. Aber das war nun einmal so. In dieser Gesellschaft glaubten immer öfter Leute daran, dass sie wichtig wären, dass man selbst als Arbeiter eine Prinzessin heiraten konnte, wenn man sich nur lange genug gegen Konventionen wehrte. Lächerlich. Jetzt wo sie hier in der doch recht eindrucksvollen Sammlung des Klosters standen, wunderte sich Cyril, ob Richard überhaupt in der Lage dazu war zu lesen? Denn auch wenn mittlerweile Bestrebungen unternommen wurden die breite Bevölkerung zu beschulen, waren die Kinder der einfachen breiten Masse eher mit Fabrikarbeit, als mit Lernen beschäftigt. Diese Kulturtechnik war also eher in gehobenen Schichten geläufig und wie wahrscheinlich war es schon, dass solch moderne Phänomen in das rückständige Irland vorgedrungen waren? Geschweige denn der Tatsache, dass Menschen mit gehobenen Lebensstandard weniger dazu neigten in Klöster einzutreten und ihre sozialen Verpflichtungen gegenüber den Unprivilegierten eher finanziell regelten. Das Latein der Bezeichnung verschiedener Codices klang zumindest eher auswendig gelernt, als verinnerlicht.
Von diesen Grübeleien angestachelt beobachtete der junge Adelige den Mönch mit einem neu aufgekommenen Interesse, erkannte, wie wenig Richard und sein Umfeld harmonisierten. Auch, wenn sich dort jemand alle Mühe geben wollte. Akribisch fuhr sein Blick über die Robe, das immer noch verdeckte Gesicht und die Gestalt des Mönches an sich.
„Dann werde ich wohl meine Tugendhaftigkeit unter Beweis stellen müssen.“ antwortet er sarkastisch auf die Information, dass man auf den Abt zu warten habe. „Ich erinnere mich jedoch nicht daran, dass ich es Euch gestattet habe, mich bei Vornamen zu nennen, Bruder Richard.“ Wenn dieser Mönch jemand von seinem Stand wäre, wüsste er auch dies. Diese unverdeckte Unhöflichkeit war nur ein weiteres Indiz dafür, dass dieser Bruder Richard etwas hinter seinem Auftritt zu verstecken versuchte, es ihm aber eher schlecht als recht gelang – die Frage war nur: Was?
Doch vorerst wurde die Aufmerksamkeit des Adeligen von etwas anderem eingefordert, einem Thema, dass ihn durchaus sichtlich irritierte. Er warf dem Mönch einen erschrockenen Blick zu, als er den gestrigen Abend ansprach, blinzelte ihn jedoch sofort wieder weg, als der Mönch durch die hörbare Ankunft des Abtes unterbrochen wurde. Das war eine mehr als merkwürdige Frage! Woher konnte es der Mönch wissen? Hatte er tatsächlich auch etwas gespürt? Gesehen? Die Erinnerung an die Augen in der Finsternis jagten ihm einen Schauer über den Rücken.

~*~
Es war natürlich alles andere als unauffällig, wenn er als Abt frühzeitig den Tisch beim Frühstück im Refektorium verließ. Immerhin war die Anzahl der Brüder gering genug, dass man nach einer gewissen Zeit sehr gut von allen anderen eingeschätzt werden konnte und er als Abt war fast der Älteste unter ihnen. Mit einem Ausdruck göttlicher Berufung in den Augen, lächelte er nichtsdestotrotz fürsorglich jeden neugierigen Blick fort und verließ dann den Saal direkt in den Innenhof, um sich den Weg an diesem widerlich stinkenden Bruder Laurs zu ersparen. Dass er sich auf sein kirchliches Recht berufen hatte, um sich als Inkluse dem göttlichen Studium näher zu sein, war ihm nach wie vor äußerst unbegreiflich. Und jetzt musste er auch noch die Stufen zu seinem Arbeitszimmer hinauf, ohne dass er Bruder Pongus gesprochen hatte. Denn wie jeder hier im Kloster mittlerweile wusste, fungierte dieser recht dümmliche, aber dafür umso stark gebaute Mönch stetig als Handlager für die Aufgaben der äbtlichen Würde. Die Existenz dieses Bruders war nur eines der wenigen Eigenarten, die das Kloster Mosney bot, über die man besser nicht allzu sehr nachdachte.
Schwerfällig erklomm er die Stufen, wobei er sich an dem Handlauf hochzog und nicht verhindern konnte, dass seine schwere Kruzifixkette unablässig klirrte. Als er schließlich oben angelangt war, stellte er mit großer Zufriedenheit fest, dass man schon auf seine Ankunft wartete, was sein persönliches Gefühl für Wichtigkeit stark beschwichtigte. Die dunklen Augen musterten den fremden Mann, der sich seiner Kleidung nach als recht reicher Adelszögling entpuppte, dann blickte er zu Bruder Richard.
„Im Namen des Herren, des Sohnes und des Heiligen Geistes wünsche ich einen gesegneten Morgen.“ begrüßte er etwas atemlos und trat an den beiden Herrschaften vorbei. „Wie ich sehe, bin ich bereits erwartet worden.“ er trat an die Tür heran. Mit aller Zeit, die ihm der liebe Herr im Himmel gegeben hatte, suchte er den Schlüssel und schob ihn das Schloss. Behutsam schob er die Tür auf und betrachtete das noch dunkle Arbeitszimmer. „Bitte kommen Sie nur herein.“ sagte er freundlich und deutete an, dass Cyril vor ihm den Raum betreten sollte. „Ach und Richard? Nimm doch bitte deine Kapuze ab.“ Denn als ihr heiliger Vater durfte er all seine Schäfchen mit dem Du ansprechen. Er zwinkerte dem Mönch zu und folgte dann dem Adeligen.

Nur wenige Augenblicke später hatte er eine Kerze auf seinem gewaltigen Schreibtisch angezündet und sie an Bruder Richard mit der Bitte die Kandelaber ebenfalls zu nutzen, weiter gereicht. Der hölzerne Thron hinter dem schweren Tisch ächzte leicht, als sich der beleibte Herr setzte. Er atmete tief durch, richtete seinen Blick auf den jungen Adeligen.
„Ich bin Abt Nathaniel Costello. Ich stehe unserem bescheidenen Kloster Mosney vor.“ er lächelte und suchte etwas aus einer Schublade, fand sein Monokel und setzte es ein. „Und mit wem habe ich das Vergnügen?“ er lächelte mild und nickte auffordernd.

„Lord Cyril Jonathan Hugh Gascoyne-Cecil, fünfter Sohn des Marquess of Salisbury Robert Arthur Talbot Gascoyne-Cecil, Euer Gnaden.“ kam die prompte und herrschaftliche Antwort von dem schmalen jungen Herrn, der sich in vorzeigbarer Pose gegenüber des Schreibtisches platziert hatte. „Ich bin gestern wider jeden Erwartens vom Unglück heimgesucht worden und erbitte Schutz und Fürsorge in diesem Kloster.“ fuhr er pathetisch fort. Dann folgte ein kurzer Bericht des Unfalls und der Begegnung mit Bruder Richard, wobei er erstaunlich sachlich blieb und es für sich behielt, wie stark er das Handeln des Mönches und dessen fehlenden höfischen Respekt bemängelte.
„Und nun bin ich jüngst von Bruder Richard aufs freundlichste geweckt worden. Er führte mich hierher, damit ich mein Anliegen in Ihre gütigen Hände legen und ihr weises Urteil abwarten kann.“ er nickte demütig und fing das geduldige Lächeln, welches der Abt während des Berichts beibehalten hatte, auf. „Leider hat die Dringlichkeit dieser Unterredung mir die Möglichkeit genommen etwas zu mir zu nehmen, sodass mich der morgendliche Hunger plagt.“ er tätschelte seinen Bauch „Wissen Sie, ich sage immer, dass man die Last der Welt und des Verstandes nur mit einem soliden, gefütterten Fundament tragen kann.“ er lachte leise, wusste ganz genau, was er da sagte. Sah seinen Erfolg, als sich die Augen des Abtes aufhellten und dieser leise in dieses Lachen einstieg.

„Nun gut. Vielen Dank, verehrter Lord Cecil“ schloss der Abt, stemmte seine Ellbogen auf die glänzende Fläche der Tischplatte und faltete seine Hände vor seinem Gesicht „Der Herr befiehlt uns Rechtschaffenheit und daher ist es notwendig, dass ich mir auch die Version der Ereignisse auch durch einen meiner Ordensbrüder schildern lasse. Ein so vernünftiger junger Edelmann, versteht dies sicherlich.“ er warf einen Blick über die gekreuzten Finger, der ihn an einen Direktor eines Internats für magisch begabte Jungen und Mädchen in Schottland erinnern ließ.
„Also? Was hast Du dazu zu sagen, Bruder Richard?“


Zuletzt von Rex Dei am Sa 30 Jul 2016 - 13:13 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyMi 27 Jul 2016 - 0:44

Abt Nathaniel grüßte Richard und Cyril mit seiner warmen und weichen Stimme, bevor er die Tür zu seinem Arbeitszimmer aufschloss. Im Hineingehen bat er Richard, dass dieser doch bitte seine Kapuze abnehmen möge. Richard musste sich stark beherrschen, um nicht mit den Augen zu rollen. Er mochte seine Kapuze ob des Gefühls der Geborgenheit, die sie bot, und weil sie die unansehnliche Narbe, die seine linke Wange entstellte und bis zu seinem unteren Augenlid reichte, weitestgehend verdeckte. Weil er von Natur aus hohlwangig war, sprang die Narbe nur um so mehr ins Auge. Er hatte eigentlich gehofft, Cyril den Anblick der Narbe ersparen zu können, aber Abt Nathaniel machte ihm mit seinem Hang zur kleinlichen Herrschsucht einen Strich durch die Rechnung.
Während Richard mit dem Entzünden der Kerzen beschäftigt war, fragte er sich, ob Nathaniel Costello diesen Zug schon immer an sich gehabt hatte, oder ob ihn die Macht und Autorität seines Amtes verdorben hatten. Der Abt eines Klosters wurde von den Mönchen bei einer Versammlung im Kapitel im Regelfall auf Lebenszeit gewählt. Da das Kloster Mosney eher klein war, verfügte es allerdings nicht über einen gesonderten Kapitelsaal, stattdessen wurden bei den regelmäßig stattfindenden Versammlungen der Brüder einfach die Tische im Refektorium zur Seite getragen. Ansonsten unterschied sich der demokratische Wahlprozess hier jedoch wenig von dem in anderen Klöstern. Nathaniel musste irgendetwas an sich gehabt haben, dass seine Brüder dazu gebrachte hatte, ihm ihr Vertrauen und ihre Stimme zu geben. Doch was es auch gewesen sein mochte, nun war augenscheinlich nicht mehr viel davon übrig geblieben. Richards Meinung nach war der Abt ein feister, kleinlicher und wankelmütiger Mann, der die Vorrechte und Vergünstigungen seiner Position stets schamlos auszunutzen schien.
Richard missfiel der Gedanke, dass sich das Wissen, nach dem es ihn verlangte, in den Händen dieses Mannes befand. Das bedeutete, dass er sich noch bis auf Weiteres mit dem Abt würde gut stellen müssen. Und auch wenn Richard ihn auf einer menschlichen Ebene nicht besonders schätzte, war er sich dennoch ziemlich sicher, das die heilige Sicherheit des Klosters für den Abt von hoher Priorität war, und dass er die Gefahr erkennen würde, die von Cyril ausging.
Der junge Lord hatte indes begonnen, dem Abt die Ereignisse der vergangenen Nacht auf möglichst theatralische Art und Weise zu schildern. Mit gehörigem Verwundern nahm Richard zur Kenntnis, dass der verwöhnte Adelsspross keinen umfassenden Klagemonolog über die etwas rüde Behandlung, die Richard ihm bisher hatte zu Teil werden lassen, anstimmte, sondern einen eher wertneutralen Bericht ablieferte. An einigen Stellen war Richard dennoch versucht, dem jungen Edelmann ins Wort zu fallen und etwa darauf hinzuweisen, wie dieser beinahe einen Brand verursacht hatte, doch er beherrschte sich. Abt Nathaniel hätte eine Unterbrechung wahrscheinlich nicht gutgeheißen, dachte er.
Dann tat Cyril etwas, mit dem Richard nicht gerechnet hatte: er appellierte an die Liebe, die der Abt für gutes Essen verspürte. Der Satz, „dass man die Last der Welt und des Verstandes nur mit einem soliden, gefütterten Fundament tragen könne“, hätte so auch aus dem Munde des Abts höchstpersönlich stammen können.
Zwar wirkte es nahezu komisch, diese Worte aus dem Mund eines so zierlichen Mannes wie Cyril zu hören, doch Nathaniel schien die Ironie zu entgehen, denn er musste herzhaft lachen. In diesem Moment wurde Richard klar, dass Cyril wohl mehr war als ein verwöhnter Unglücksvogel. Ganz offensichtliche verfügte er über Intelligenz und eine Menschenkenntnis, die Richard ihm nie zugetraut hätte. Den Abt nun zu überzeugen, dürfte recht schwierig werden.
Als Abt Nathaniel nun seinen, durch das Monokel (dass Richard ihn noch nie zuvor hatte tragen sehen) leicht schielenden Blick auf den jungen Mönch richtete, um dessen Version der Geschichte zu hören, fand Richard sich in einem Zwiespalt wieder. Auf der einen Seite war er durch die Ankunft des Abtes in seinem Gespräch mit Cyril unterbrochen worden, als gerade ein Punkt erreicht worden war, wo es für ihn interessant zu werden begonnen hatte. Auf der anderen Seite war er seinen Brüdern verpflichtet, und er konnte nicht ruhigen Gewissens zulassen, dass ein offensichtlich gefährlicher Mann wie Cyril es war sie alle in Gefahr brachte, ganz gleich, welch wertvolle Informationen er noch bereithalten mochte.
Aber war es nicht ein wenig unfair von ihm, dem Abt Cyrils Fehltritte in epischer Breite darzulegen, nachdem Cyril selbst die Ereignisse der vergangenen Nacht in einem so neutralen Licht dargestellt hatte? Und bestand überhaupt noch eine Aussicht, den Abt erfolgreich von der Bedrohung durch Cyril zu überzeugen, nun, da Nathaniel scheinbar begonnen hatte, Cyril zu mögen?
Richard biss sich auf die vollen Lippen, bevor er zu Sprechen ansetzte: „Euer Exzellenz, ich sehe es als meine Pflicht Euch, Unseren Brüdern und dem Kloster gegenüber an, einige... beunruhigende Vorfälle nicht unerwähnt zu lassen, die Ihr in Betracht ziehen solltet, wenn Ihr über die Unterbringung von Lord Cyril Jonathan Hugh Gascoyne-Cecil entscheidet. Zum einen schien er mir in geistig labiler Verfassung zu sein, als ich ihm gestern ein Abendessen aufs Zimmer brachte. Er bedrohte mich sogar mit einem Revolver! Zum anderen legte er ein besorgniserregendes Maß an Fahrlässigkeit an den Tag, als er seine Fackel auf den Holzboden des Korridors im Dormitorium fallen ließ. Wir können dem Herrn nur danken, dass es nicht zu einer Feuersbrunst gekommen ist, denn eine solche hätte sicherlich das Leben vieler unserer schlafenden Brüder gefordert. Und zu guter Letzt: Er ist Engländer, Herr, und Protestant. Ihm wurde von frühester Kindheit an beigrbracht, unsere Gebräuche und unseren Glauben zu verachten.“
Sogleich bereute Richard diese Worte. Zum einen, weil sie taktisch unklug gewesen waren, und zum anderen, weil er sich gar nicht mehr vollkommen sicher war, ob er wirklich wollte, dass Cyril verschwand. Um seine Rede etwas abzumildern, setzte er hinzu: „Ich empfehle Euch nicht, den jungen Lord hinauszuwerfen. Dies wäre ein grober Verstoß gegen die christliche Nächstenliebe. Ich rate Euch lediglich, den jungen Lord nicht unbegleitet im Kloster herumspazieren zu lassen. Er könnte sonst Schaden anrichten.“
Richard fühlte, wie ihm trotz des Winters, der Schweiß auf die Stirn trat, als er die Antwort des Abtes abwartete.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 30 Jul 2016 - 15:55

Cyril folgte der auffordernden Geste des Abtes und blickte sich zu Richard um, der gekonnt im Hintergrund gehalten worden war und sich zurückhielt. Dieses deutlich inszenierte Hierarchiegefälle ließ den Rückschluss zu, dass Cyril mit dem Geltungsbedürfnis des katholischen Abtes recht gehabt hatte. Was sich aber als noch viel interessanter herausstellte, war, dass Bruder Richard selbst einen äußerst geringen Einfluss auf die Abläufe des Klosters hatte, womöglich zu den unteren Rängen gehörte. Das würde auch erklären, warum er nicht die typische von Verzicht und göttlicher Demut gepeinigte Haltung aufwies. Das sollte er sich merken, vielleicht konnte es ihm hilfreich sein. Als Bruder Richard zu seinem Bericht ansetzte, lag der Blick des Adeligen auf ihm.
Beunruhigende Vorfälle? Mit einem schnellen Kopfschütteln beschwichtigte er die Sorge in dem Blick des Abtes, der kurz seinen Fokus gewechselt hatte, als sich Richard äußerst gewollt mit diesem Begriff schwertat, um etwa anzudeuten, dass er einen dramatischeren Begriff gewählt hätte, wenn es die Umstände zu gelassen hätten. So so? Cyril verengte leicht die blauen Augen. Bruder Richard hatte sich also dafür entschieden, sich ihm in den Weg zu stellen, auch nachdem er selbst in Cyrils Schilderungen äußerst glimpflich davon gekommen war. Mit aufkommender Wut ob dieser Dreistigkeit verschränkte der junge Lord seine Arme vor der Brust, schürzte die Lippen. Er würde abwarten, was sich dieser Kapuzenheini noch einfallen lassen würde, bevor er ihn voreilig in die Wüste schickte. Also lauschte er den beleidigenden Anschuldigungen über mentale Labilität, geisteskranker Fahrlässigkeit, die sonst nur verschmähte Poeten dazu trieb Städte in Brand zu stecken, und falscher heidnischer Religiosität. Sie schienen Bruder Richard mit einem gewissen Behagen über die Lippen zu kommen, oder bildete er sich etwa nur ein, dass der Mönch damit beabsichtigte den Abt gegen seine Lordschaft aufzuwiegeln? Natürlich durfte eine Prise göttlicher Demut und absoluter Verbundenheit mit dem Allvater nicht fehlen, die Richard innewohnte und ihn daher umso mehr echauffierte, dass ein englischer Protestant in diesem Kloster untergebracht werden sollte. Cyril schnalzte abschätzig mit der Zunge. Als ob.
Das Verlangen eine absolut passgenaue Gegenargumentation zu liefern und mit einer diffamierenden Paraderhetorik seine Stellung wieder zu stärken, packte ihn. Er wollte gerade ansetzen und Bruder Richard in diesem herrschaftlichen Setting auf seine untergeordnete Rolle verweisen, als – sich der Mönch überraschend einsichtig zeigte und von einer Vertreibung absah und lediglich eine Aufsicht empfahl. Für einen kurzen Moment musste Cyril inne halten, die Worte des Bruders auf sich wirken lassen. Nicht, dass er selbst ungewollt untaktisch wurde. Was wollte Richard bezwecken?


Mit einem Räuspern kommentierte er die Ausführungen, denen er gerade gefolgt war. Eine Falte des Denkens zog sich über seine Stirn, er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. „Ich danke Dir, Richard.“ erhob sich die Stimme des Abtes. Er fuhr sich mit einer Hand durch den Vollbart, massierte sein Kinn, während er das Gesagte Revue passieren ließ. Dieser Bruder war ihm manchmal eindeutig zu spitzfindig. Da er nun das Wohl der Bruderschaft, ja des gesamten Klosters an sich, mit in Waagschale geworfen hatte, konnte Nathaniel ja unmöglich die absolute Unbedenklichkeit gegenüber des Adligen aussprechen. Er fuhr sich hinter den Lippen mit der Zunge über die Zahnreihen. Gut gespielt, Richard. Bei diesem Gedanken räusperte er sich erneut, atmete ein und richtete sich ein Stück weit auf, sodass es nicht zu anstrengend wurde. „Es ist schön zu sehen, dass ein Jünger des Herrn fähig ist, seine Pflicht so gewissenhaft wahrzunehmen.“ sagte er durchaus anerkennend und schenkte Richard ein ehrliches Nicken.
„Das sind in der Tat äußerst beunruhigende Informationen, mein Lord Cecil.“ etwas Tadelndes lag in diesen Worten „Wollt Ihr dazu Stellung nehmen?“

Natürlich. Cyril atmete beherrscht aus, um nicht genervt zu klingen. Dieser Abt entzog sich äußerst geschickt diesem Prozess und überließ den Angeklagten die Argumentation, um zu guter Letzt den hehren Richter spielen zu dürfen. Es fiel ihm leider schwer darin lediglich Fürsorge und Gerechtigkeitsbestreben zu erkennen. Gespielt müde fasste er sich an die Augen.
„Natürlich, Euer Gnaden.“ ergriff er den verbalen Spielball, der herumgeworfen wurde, wie in einem Kennenlernkurs für kleine Kinder im Schullandheim.
„Ich möchte nur an die schrecklichen Dinge erinnern, die mir widerfahren sind. Diese schrecklichen Bilder, die sich mir geboten haben.“ er hielt inne, schien sich ehrlich sammeln zu müssen, um aufkommende Erinnerungen zu verdrängen. „Ich gebe zu, dass ich unter diesen äußerst unnatürlichen Umständen etwas von meinem mir üblichen Verhalten abgewichen sein muss.“ diese Worte klangen schwer, verletzt und reumütig. „Ich möchte jedoch auch klarstellen, dass ich in keinster Form jemals eine Bedrohung für das Kloster darzustellen in der Lage gewesen wäre. Den Umstand mit der Fackel muss ich entschieden von mir weisen.“ etwas Ärger schimmerte dosiert genug durch, sodass es tatsächlich, sachlicher Empörung recht nahe kam „Es hängen sämtliche Fackeln in ihren Halterungen in den Korridoren. Bruder Richard und ich haben dies selbst noch überprüft, als mir in diesem entrückten Geisteszustand dieser Fiebertraum erschienen war.“ Cyril schluckte, widerstand dem Drang Richard verschwörerisch anzusehen mit Bravur. Er wusste jedoch auch, dass er sich damit gefährlich nahe an eine mentale Katastrophe heran geführt hatte.
„Ihr könnt es gerne selbst überprüfen, Euer Gnaden.“ Aber das würde der Abt doch nicht wollen. Cyril hob den Kopf und begegnete dem Blick des Abtes.

„Oh, das wird nicht nötig sein.“ beeilte sich der Abt, ehe Richard oder Cyril noch dazu Gelegenheit bekämen eine Überprüfung durch seine Heiligkeit zu verlangen. „Auch als Mann des Glaubens, muss man die Sinne für die Logik der Fakten offen lassen.“ rettete er sich geschickt. „Das Dormitorium ist nicht in den Flammen der Zerstörung aufgegangen, noch ist jemand durch eine wie auch immer geartete Weise zu körperlichem Schaden gekommen.“ er mahnte dabei sowohl Cyril als auch Richard mit einem strengen Blick.
„Ich glaube, dass Lord Cecil sich keiner schweren Verfehlung schuldig gemacht hat -“ sagte er äußerst gönnerisch und faltete die Hände vor der Brust, lehnte sich zurück „Dennoch – ist es wichtig, dass ein so junger Geist, der von den Gräueln des Luzifers unschuldig gepeinigt wurde, in den warmen und geborgenen Händen der Mutter Kirche und der Obhut der Glaubensbrüder, heilt und Reinheit erlangt. Das soll deine Aufgabe sein, Richard.“ Die Worte des Abtes klangen unverhältnismäßig streng.
„Aber fürs Erste hat es Priorität, dass Ihr etwas zu Essen bekommt, My Lord.“ verkündete der Abt mit erneuter energetischer Freude, erhob sich von seinem Stuhl und kam um seinen Schreibtisch herum. Mit freundlichem Ausdruck auf dem Gesicht trat er an die Seite des Adeligen und deutete auf die Tür, begleitete ihn. „Wenn Ihr die Güte hättet, für einen Moment draußen zu warten?“

Als er die Tür hinter dem jungen Lord geschlossen hatte, drehte sich der beleibte Mann zu seinem Bruder im Geiste um. „Es war gut, dass Du zu mir gekommen bist.“ sagte er mit einer Stimmlage, die man schwer einschätzen konnte. Er fixierte den Rothaarigen mit seinen hell schimmernden Augen, trat auf ihn zu. „Ich glaube, dass es ein Zeichen ist, dass der junge Lord hier aufgetaucht ist.“
„Ich beobachte Dich seit deiner Ankunft hier, Richard.“ mit väterlichem Unterton trat er zurück an seinen Schreibtisch, nahm das Monokel heraus und legte es achtlos zurück in die Schublade. „Etwas hat sich verändert.“ war es Sorge, die aus der Stimme des Abtes herausklang? „Aber dieser Bursche birgt in sich ein ungeahntes Potential. Ich will, dass Du auf ihn acht gibst, Richard.“
„Mir scheint es, als wüsstest Du nicht recht, was du eigentlich willst.“ es lag etwas Wissendes in dem Abt, als er Richard über seine gefalteten Hände hin ansah. „Sieh ihn als deine Probe an. Wenn Du es schaffst, dann sollst du die vollwertige Bruderschaft erhalten. Dann steht Mosney Dir mit all seinen Geheimnissen offen.“ mit einem freundlichen Lächeln nickte er zur Tür, bedeutete Richard, dass es jetzt Zeit war für ihn zu gehen.
„Ach und Richard? Wenn Du Bruder Pongus sehen solltest, schick ihn her.“ ein Wink mit der Hand. Konnte es sein, dass etwas Verschwörerisches in den Worten des Abtes gelegen hatte?

Seufzend wartete er auf einem der Stühle, die im Gang vor dem Arbeitszimmer des Abtes standen, blickte in das knisternde Feuer. Er hatte versucht zu lauschen, etwas von dem mit zu bekommen, was hinter der geschlossenen Türe gesprochen wurde. Aber es war zwecklos gewesen, nicht einmal ein winziges Wörtchen hatte er verstehen können. Genau genommen hatte er überhaupt gar nichts hören können. Was der Abt wohl noch mit Bruder Richard zu besprechen hatte? Es war jedoch eine andere Frage, die Cyril plagte, ihn gewissermaßen beschwichtigt und davon abgehalten hatte, Richard vor seinem Vorgesetzten ausbluten zu lassen. Was wusste dieser Mönch? Konnte es sein, dass er sich doch nicht nur alles eingebildet hatte? Die Schatten? Die Kälte? Der starrende Blick in der Finsternis?
Und während er grübelte, war es ihm, als tanzte ein dunkles Lachen im Wind, der an den Wänden des Klosters vorbeizog....
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 9 Aug 2016 - 16:21

Nachdem Cyril seine Version der fraglichen Nacht zu Ende erzählt und Abt Nathaniel mit einem Schwall bedeutungsleerer Floskeln die Wichtigkeit von Cyrils Verbleib im Kloster untermauert hatte, bat der alte Mönch Cyril, draußen vor der Tür zu warten.
Richard hatte erwartet, dass es die politischen Verbindungen und monetären Ressourcen des jungen Lords sein würden, wegen derer Abt Nathaniel ihn gerne bei sich im Kloster behalten wollen würde. Doch stattdessen bezeichnete er Cyrils Ankunft als ein „Zeichen“. Auf was dieses Zeichen hindeuten sollte, wagte Richard indes nicht zu fragen, zu abgelenkt war er von der Tatsache, dass der so behäbige Abt seinen Schreibtisch verlassen hatte und dem jungen Mönch so nahegekommen war, dass er die Frühstückskrümel im Bart des beleibten Mannes erkennen konnte.
Mit einer Stimme, die wohl väterlich klingen sollte, aber in Richards Ohren einen anderen Beiklang bekam, erklärte Nathaniel dem jungen Mönch, dass er diesen schon seit seiner Ankunft im Kloster aufs genauste beobachtet hätte. Richard missfiel die körperliche Nähe des Abtes. Mit seinen Worten hatte Nathaniel wohl klarmachen wollen, dass er bereit war, Richard eine Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen, doch dieser fühlte sich gerade eher unwohl in seiner Haut.
Dankenswerterweise drehte sich der ältere Mann kurz darauf um und schritt zurück zu seinem Schreibtisch. Richard entging die Achtlosigkeit, mit welcher der Abt, nun, da Cyril das Zimmer verlassen hatte, sein Monokel zurück in die Schublade warf, nicht. Anscheinend bestand für Nathaniel nun kein Grund mehr, diese Scharade von weltlicher Kultiviertheit aufrechtzuerhalten.
„Euer Gnaden, bei allem gebührenden Respekt: Warum muss ausgerechnet ich es sein, der den jungen Lord beaufsichtigt. Ich war heute eigentlich für den Betrieb des Kalefaktoriums eingeteilt gewesen...,“ wagte Richard einzuwenden. Aber was sagte er denn da? Hatte er Cyril nicht im Kloster behalten wollen, um ihn ungestört aushorchen zu können, ob er etwas wusste? Und hasste er den eintönigen und schweißtreibenden Dienst als Kalefaktor nicht über alles? Er würde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen können, wenn er zu Cyrils Wachhund wurde. Und dennoch war da eine unbestimmte Angst in ihm, eine innere Stimme, die ihm riet, sich von dem jungen Mann mit den schönen blauen Augen fernzuhalten.
Abt Nathaniel schien Richards innere Zerrissenheit zu spüren, denn er sprach ihn darauf an. Verdammt! War er denn so schlecht darin, seine Gefühle zu verbergen? Hol's der Teufel!
Er sollte Cyril also als seine Probe ansehen... was konnte der Abt damit meinen? „Wenn du es schaffst...“ Was erwartete er von Richard?
Trotz dieser neuen Fragen, bestätigten die Worte des Abtes etwas, das Richard schon lange Zeit vermutet hatte. Also gab es wirklich Geheimnisse, die der Orden des heiligen Cyprian nicht allen Brüdern offenbarte. Unwillkürlich musste Richard sich fragen, wie viele seiner Brüder wohl zu den „Eingeweihten“ gehörten, und welchen von ihnen Abt Nathaniel nie das ermöglicht hatte, was er Richard jetzt in Aussicht stellte.
„Ich... Euer Gnaden, es wird mir eine Ehre sein. Ich werde Euch nicht enttäuschen,“ stammelte der völlig überrumpelte Richard. Abt Nathaniel schien mit dieser Reaktion durchaus zufrieden zu sein, denn er bedeutete Richard mit einem Kopfnicken, ihn nun allein zu lassen. Im Hinausgehen hörte der junge Mönch noch, dass er bitte Bruder Pongus ins Büro des Abtes schicken sollte, wenn er ihm irgendwo begegnete.
Richard fand Cyril auf einem der Stühle im Vorzimmer sitzend vor. Der junge Adlige blickte nachdenklich in die Flammen und schien Richard gar nicht zu bemerken, bis dieser sich räusperte.
„Abt Nathaniel hat mich als Euren... Begleiter bestimmt.“ Um ein Haar wäre Richard das Wort „Aufpasser“ herausgerutscht. Auch wenn es faktisch seine Aufgabe recht treffend beschreiben mochte, wollte er den Begriff vermeiden. Er war auf Cyrils Kooperation angeweisen, wollte er etwas herausfinden. So, wie er den jungen Adligen einschätzte, konnte er sich nicht vorstellen, dass Cyril es mit seinem Stolz vereinbaren konnte, einen Aufseher zur Seite gestellt zu bekommen. Auch, wenn diese verweichlichten Adligen sich in Wahrheit häufig nicht einmal trauten, ohne ein Gefolge aus Bediensteten einen Fuß vor die Tür zu setzen, so war es ihnen doch gleichzeitig auch stets wichtig, als stark und unabhängig gesehen zu werden.
Irgendwo auf den Schneebedeckten Dächern von Mosney schrie eine Krähe, der Wind pfiff und das Holz im Kamin knisterte. Und dennoch war Richard, als laste eine dunkle Wolke auf dem Kloster Mosney, die einen Tag vorher noch nicht dagewesen war.
Irgendwie schien all dies mit Cyril zusammenzuhängen. Richard beschloss, dass es klüger war, nicht sofort mit der Tür ins Haus zu fallen, weshalb er zunächst unverfängliche Themen ansprechen wollte. Gleichwohl er bei jemandem wie Cyril vermutlich eine Aneinanderreihung arroganter Selbstbeweihräucherungen zu hören bekommen würde, erschien es ihm sinnvoll, ein wenig über den Hintergrund seines Gastes in Erfahrung zu bringen.
„Der Winter wird nicht von Heute auf Morgen vorbeigehen, mein Lord. Es sieht also aus, als müsstet ihr noch einige Wochen hier bei uns zubringen. Vielleicht wäre es also gut, wenn wir einander etwas näher kennenlernten. Wenn es Euch nichts ausmacht, erzählt mir ein wenig über Euch. Wie alt seid Ihr zum Beispiel?“
Mit einem Blick zu der mit esoterischen Symbolen verzierten Holztür des Abtes fügte Richard hinzu: „Vielleicht sollten wir übrigens woanders hingehen. Ich bin mir sicher, dass Abt Nathaniel wichtige Angelegenheiten zu regeln hat und nicht gestört werden möchte.“ Er war noch ein Anfänger auf dem Gebiet des Okkulten, doch es erschien ihm nicht sicher, in Reichweite dieser Tür zu sein, sollte Cyril von sich aus das Gespräch erneut auf die Vorkommnisse der verganegnen Nacht lenken.
„Würdet Ihr mir die Freude machen, und mich ins Refektorium begleiten,“ fragte Richard, dem erst jetzt richtig klarwurde, wie unglaublich leer sich sein Magen nach der Nachtwache und dem versäumten Frühstück anfühlte. „Die Brüder dort werden sicherlich noch ein paar bescheidene Reste vom Frühstück aufbewahrt haben, mit denen wir unseren Hunger stillen können.“ Er machte eine einladende Handbewegung in Richtung der steinernen Wendeltreppe.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 13 Aug 2016 - 14:16

Es waren stets die gleichen Fragen, die sich immer und immer wieder in seinen Gedanken festfraßen. Selbst in dieser Gelegenheit vollkommener Ruhe und mentaler Gewecktheit erschienen die Ereignisse der letzten Nacht so trüb, unfassbar und surreal. Was hatte er da nur gesehen? Eine Projektion seines Unterbewusstseins, die sein ermattetes Gehirn nicht länger von der Realität hatte unterscheiden können? Cyril hob seine Hände, hielt sie flach vor sich ausgestreckt, blickte in den Spiegel seiner Handflächen. Wenn es denn nur das gewesen wäre. Hatte er nicht die Kälte gespürt, wie sie bis in die Glieder seiner Finger gekrochen und seinen Widerstand gebrochen hatte, die ewige Stille vernommen, die seine Ohren betäubte, sodass er nicht einmal seinen eigenen Schrei hatte hören können. Er war nicht so naiv, dass er all das als Irrung oder Wahnvorstellung annehmen konnte. Nein, dafür war das Gefühl immer noch zu stark, hatte sich irgendwo unterhalb seiner Brust eingenistet. Er fuhr mit dem Daumen über die Kuppen seiner übrigen Finger, spürte er ein leichtes Pulsieren. Als er sich jedoch darauf konzentrierte, war es verloren. Seine Intuition sagte ihm, dass hier etwas absolut nicht stimmte. Die Frage war nur nach wie vor: Was?
Das Knistern des Feuers ließ ihn kurz aufschrecken, löste den Blick, den er in die unendliche Leere des Grübelns gerichtet hatte. Und war war mit dem Mönch? Mit diesem Richard? Noch wurde er nicht gänzlich schlau aus dem Kuttenträger. Es wäre einfach gewesen, wenn er weiterhin den Eindruck erzeugte, dass er Cyril absolut nicht über den Weg traute und ihn schneller dem Kloster verweisen wollte, als er gekommen war. Aber offenbar steckte mehr unter der Kapuze, wie das begonnene Gespräch über die nächtlichen Unregelmäßigkeiten andeutete. Alte Märchen von Geistern und verwunschenen Orten wirbelten in dem Kopf des jungen Lords herum. Die tiefe Stimme seines Vaters, als er ihm und seinen Brüdern vorgelesen hatte. Diese seltenen und so kostbaren Erinnerungen tanzten in den Flammen, die den Blick der blauen Augen gefangen hielten. Konnte es vielleicht sein....?
So sehr ihn die Flammen und das Spiel der Energien ihn gefesselt hatten, so arg schreckte er zusammen, als das Räuspern an seiner Seite ertönte. Die Erinnerungen verblassten, die Gedanken wanden sich wieder aus dem Netz, welches Cyril knüpfen hatte wollen. Ein gleichsam verwunderter wie fragender Blick richtete sich hinauf in das Gesicht des Mönches. Cyril vernahm Richards Worte, zog eine Augenbraue in Position, um verhöhnende Skepsis an den Tag zu legen. Er setzte beide Füße auf den Boden, drückte sich in einer einzigen eleganten Bewegung hoch und erstrahlte in der gewohnten Herrlichkeit. Vielleicht war es doch zu viel des Guten gewesen, sein Kreislauf folgte dieser Abruptheit nicht, die Welt wankte kurz in der aufkommenden Schwärze hinter seinen Lidern, Cyril lächelte tapfer. Aus Reflex jedoch griff er nach dem nächstbesten Halt, der sich ihm bot, krallte sich an dem Unterarm des Mönches fest. Widerstand schwoll in ihm an und nur wenige Sekunden später zog er die Hand wieder zurück, blickte kurz entschuldigend, dann gefasst in die dunklen Augen seines Gegenübers. Seine Finger fühlten sich kalt an, eiskalt. „Ja, wohl wahr.“ brachte er leise über die Lippen. Er nutzte den Blickkontakt, um seinen neuen Begleiter anzusehen, etwas aus ihm zu deuten. Dann rutschte der Blick zu der Narbe unterhalb des linken Auges, ehe er sich in dem Rot der Haare verlor und von Richard schließlich gänzlich abfiel. Cyril rieb seine Finger aneinander, sie fühlten sich nunmehr an, als gehörten sie nicht länger zu ihm, er schloss sie zur Faust. Das half dieses Gefühl der Taubheit zurück zu drängen. „Es ist wohl besser, wenn jemand in meiner Nähe ist, der ein Auge auf mich werfen kann.“ gab er spitz zurück, wohl wissend, dass Richard im Auftrag des Klosters handelte und sich von nun an vermutlich in ständiger Nähe befinden würde. Aber vielleicht war das gut so. Wenn er sich Richard so anschaute, war es vielleicht nicht verkehrt ihn im Zweifelsfalle auf das losgehen zu lassen, was ihn – erschreckender Weise nicht nur in Gedanken – verfolgte. Cyril nickte leicht, sich mehr selbst bejahend, als die Beschneidung seiner Autonomie.
Der nächste Schritt den Richard vollführte, brachte ihm ein tatsächlich überraschtes Lächeln ein. Soso? Da wollte ihn also jemand kennenlernen? Wie überaus nobel von ihm. Cyril – von seinem höfischen Umgang geschult – griff diesen Gesprächspfad nur zu gern auf, richtete seine Weste und straffte die Schulter. Außerdem hatte es Richard doch tatsächlich geschafft ihn mit der förmlichen Anrede seines Standes anzusprechen. Mental erntete er dafür tosenden Applaus, sichtbar nur ein zur Milde abgeschwächtes Lächeln. „Famose Idee.“ quittierte er und erhaschte dabei den Einfall, dass es ihm mehr als gelegen kam, ebenfalls etwas über den anderen Mann heraus zu finden. Bevor er jedoch in den Monolog der Beweihräucherung verfallen konnte, ermahnte ihn Richard, Abstand von der Tür zu halten, die ihm offenbar ebenso suspekt erschien wie dem jungen Lord, als er an diesen Umstand erinnert wurde, und den Weg in das Refektorium einzuschlagen. Auch, wenn Cyril sich nicht ganz sicher war, was das eigentlich zu bedeuten hatte, folgte er der Aufforderung in Richards Geste und trat stufenweise den steinernen Weg hinab an.
„Nunja, also -“ begann der Adelige, während er sich kurz durch das Haar fuhr. „Ich bin der fünfte Sohn des Marquess of Salisbury und mit dreiundzwanzig der Jüngste aus der Familie. Da bereits all meine verehrten Brüder wichtige Ämter im Dienste der Krone in und außerhalb Londons übernehmen, obliegt es mir und meiner Schwester den sozialen Verpflichtungen der Familie nach zu kommen und Präsenz am Hof, auf Banketten und Tanzabenden zu zeigen.“ sein Lächeln wurde stärker, als er in den Bildern der aufkommenden Erinnerungen flanierte. „Darüber hinaus beschäftige ich mich natürlich mit dem Studium der Geisteswissenschaften und der Literatur, zumindest wenn es sich anbietet. Darüber hinaus natürlich all die saisonalen Verpflichtungen, aber davon versteht Ihr natürlich nichts.“ Auch wenn Cyril den Anschein erweckte, so war er nicht ganz darauf aus sich zu profilieren. Seine Anmerkungen waren durchaus alle war, aber dahinter versteckt sollte die Tatsache bleiben, dass er durchaus das kleine schwarze Schaf der Familie war. Während all seine Brüder nämlich in den Kolonien Expeditionen leiteten oder Regierungsposten innehatten, war er nur für Salons und Gesellschaftsabende zu gebrauchen, von sonstigen sozialen Eskapaden ganz zu schweigen. Aber das musste Richard nun ja nicht wissen und als jüngster Spross aus reichem Hause stand ihm ein gewisser hedonistischer Hang durchaus zu.
„Und Ihr? Ihr habt bestimmt eine durchaus spannende Geschichte Bruder Richard? Warum sollte man sonst die Blüte seiner Jugend mit alten Männern in einem abgelegenen Kloster verbringen wollen?“ etwas Romantisches lag in der Vorstellung, dass Richard sich zu einem tiefgründigen Helden entwickeln würde, wie ihn die Literatur sooft in schwarze Lettern gebannt hatte. Er stieg mit Leichtigkeit die Stufen hinab, die sich der Abt vorhin so mühselig hoch gekämpft hatte.

Cyril betrat als Erster den ebenen Boden, des kleinen Korridors am Ende der Treppe. Nicht sicher, ob er tatsächlich durch die Tür in den Hof gelangte, ließ er Richard den Vortritt.
„Nun? Was ist Eure Geschichte?“ wollte er neugierig wissen, gestärkt von der Tatsache, dass er sich nun im Rücken des Mönches befand. Als Richard ihm die Tür öffnete, lag etwas Aufforderndes in den Zügen des Adeligen. „Als Gegenleistung dürft Ihr mich auch Cyril nennen und euch das Mylord sparen.“ es lag etwas keckes und aufgewecktes in dem Lord. Jetzt wo er Richard einmal dazu gebracht hatte, hatte es seinen Wert und seine Wichtigkeit verloren. Er trat an den Mönch heran.
„Es hat doch nicht etwa mit der Narbe hier zu tun?“ und ohne Vorwarnung legte er seine kalten Finger an die Wange des Bruders, fuhr mit dem Daumen darüber. Augenblicklich drangen Bilder an seinen Geist, hektische, dunkle Szenen, die er nicht ganz erkannte. Das Pulsieren war wieder da, er spürte, wie es von Richards Haut reflektiert wurde. Ruckartig zog er die Hand wieder zurück, blickte verwirrt in die braunen Augen des Rothaarigen....
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 23 Aug 2016 - 19:34

Die Wendeltreppe war so schmal, dass die beiden Männer sich nur nacheinander auf ihr bewegen konnten. Richard folgte Cyril in angemessenem Abstand, als dieser sich daran machte, die steinerne Wendeltreppe hinabzusteigen. Bei jedem Schritt des jungen Lords hallte das Geräusch seiner Absätze von dem beengten Gemäuer wieder. Wie federleicht sein Gang war.
Richard ertappte sich dabei, wie sein Blick an Cyrils Schultern hängen blieb. Zu gern hätte er das Spiel der Rückenmuskulatur aus nächster Nähe bewundert. Der Anblick des hellen, makellosen Haut, die er für einen kurzen Moment zu Gesicht bekommen hatte, als Cyril dabei gewesen war, seine Kleidung zu richten, war ihm noch immer klar vor Augen. Richard schüttelte energisch den Kopf, um den Gedanken zu vertreiben. Offensichtlich forderte der Mangel an Erholung seinen Tribut und verwirrte seine Sinne.
Der kühle Luftzug in seinem Gesicht, der trotz des gut beheizten und instandgehaltenen Gebäudes in dem steinernen Treppenhaus herrschte, brachte Richard zurück in die Realität. Er versuchte, sich stärker auf Cyrils Worte zu konzentrieren und weniger auf seine körperliche Präsenz.
Natürlich gehörte Cyril zu der Art von adligem Abschaum, der damit zufrieden war, sich auf den Früchten der Arbeit seiner Vorväter auszuruhen. Cyril schien weder die körperlichen Charakteristika, noch die Persönlichkeit eines Barons Clive, dem Eroberer Indiens, oder eines Dukes von Wellington, der bereit war, für den Ruhm von Krone und Vaterland sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen. Dafür konnte Richard die umfassende klassische Bildung, über die Cyril nach eigener Aussage wohl verfügte, später noch einmal nützlich werden.
Der Mönch unterdrückte also mit Mühe ein sich anbahnendes unwilliges Schnauben, als Cyril ihm von seinen „saisonalen Verpflichtungen“ berichtete, von denen Richard „Natürlich“ nichts verstünde. Dachte der Bursche etwa, Richard hätte vor seinem Leben im Kloster unter einem Stein gelebt? Auch in Leeds gab es genug reiche und angesehen Familien, die ihren opulenten Lebensstil nur allzu gern zur Schau stellten. Auch, wenn man fernab der marmornen Stadtpalais und riesigen Cricketanlagen aufwuchs, war es nahezu unmöglich, nicht die jahreszeitlichen Veränderungen im Verhalten der vergnügungssüchtigen Eliten zu bemerken.
Als Cyril fragte, was Richard dazu bewogen hatte, in ein Kloster einzutreten, antwortete der Mönch ausweichend: „Ich war einfach an einem Punkt in meinem Leben angelangt, an dem mir klar geworden war, dass es Dinge in unserer Welt gibt, die man nicht auf den ersten Blick sehen oder begreifen kann. Ich habe mich dem Orden des heiligen Cyprian in der Hoffnung angeschlossen, Verständnis zu erlangen.“ Das war natürlich keine erschöpfende Antwort, aber es entsprach doch der Wahrheit.
Richard hatte selbst nicht damit gerechnet, dass Cyril sich mit dieser schwammigen Antwort würde abspeisen lassen. Kaum hatte der junge Adlige den Fuß der Treppe erreicht und Richard den Vortritt gelassen, da hakte er erneut nach. Richard fühlte sich von dem Entgegenkommen des Lords, ihn beim Vornamen nennen zu dürfen, durchaus geschmeichelt, aber trotzdem antwortete er: „Cyril, bei allem Respekt, ich würde es vorziehen die genauen Details meiner Vorgeschichte zu einem anderen Zeitpunkt mit Euch zu erörtern. Wisset nur, dass ich mich aus bestimmten Gründen für den Orden des heiligen Cyprian entschieden habe, und nicht für einen der größeren und wohlhabenderen Orden.“ Richard hielt kurz inne, als er die Tür zum Hof aufgetan hatte, bevor er sich zu Cyril umdrehte und sagte: „Ich kann Euch versichern, dass ich in meinem früheren Leben nicht einmal im Traum daran gedacht hätte, Mönch zu werden. Erst vor wenigen Monaten fasste ich diesen Entschluss...“
„Es hat doch nicht etwa mit der Narbe hier zu tun,“ fragte Cyril und streckte für Richard völlig unerwartet seine Hand nach dem Gesicht des Mönches aus, um die Narbe zu berühren. In dem Augenblick, da die kühlen Finger Cyrils seine Haut berührten, stürmte eine Flut von Bildern auf Richards Geist ein. Dunkle, verworrene Bilder. Schreckliche Bilder. Cyrils Finger ließen seine Narbe wie Feuer brennen. Es fühlte sich fast so an, als wäre sein Gesicht ein zweites Mal aufgeschlitzt worden. Der Schmerz schwoll in seinem Gehirn zu einer Kugel aus gleißendem, kalten Licht. Richard wollte Schreien, wollte sich von Cyril lösen, aber seine Glieder waren wie erstarrt.
Er konnte unmöglich sagen, wie lange er diesem Gefühl noch hätte standhalten können, ohne dem Wahnsinn zu verfallen, doch Gott sei Dank brach Cyril von sich aus den Kontakt ab. In den blauen Augen des Lords konnte Richard Verwirrung und Schrecken ablesen. Hatte sein Gegenüber im Moment der Berührung die gleichen Dinge gesehen, die seinen Geist gepeinigt hatten?
Der Mönch ergriff Cyrils Arm beim Handgelenk und hielt ihn schraubstockartig in einer Position fest, von der aus die verfluchten Finger des jungen Lords unmöglich sein Gesicht erreichen könnten. „Tut das nie wieder,“ zischte Richard eindringlich und funkelte den jüngeren Mann wütend an. Als demonstratives Zeichen seiner Verärgerung zog er seine Kapuze wieder auf, während er die wenigen steinernen Stufen vor der Tür hinunterstieg und nach draußen auf den schneebedeckten Platz trat.
Irgendwo im Hinterkopf war ihm klar, dass Cyril wahrscheinlich keine Ahnung hatte, dass so etwas passieren würde und von dem Ereignis genauso überrascht worden war wie er selbst. Ihm war auch klar, dass er die ihm von Abt Nathaniel übertragene Pflicht ernst nehmen und in Cyrils Nähe bleiben sollte. Jetzt gerade war es ihm jedoch vollkommen egal, ob der junge Mann mit ihm Schritt halten konnte, denn er blickte sich nicht ein einziges mal zu ihm um, während er durch den knöcheltiefen Schnee des Innenhofes stapfte.
Ein Bruder, dessen Namen er vergessen hatte, kam ihm entgegen. Richard schnauzte ihn im Vorbeigehen an, um ihn wissen zu lassen, dass der Abt ihn heute von seinem regulären Dienst entbunden hatte. „Sucht also jemanden, der heute den Kalefaktor spielen möchte. Ich habe andere Aufgaben. Hauptsache, irgendjemand heizt, weil wir sonst alle hier erfrieren werden, was Gott verhüten möge.“
Er wartete die Antwort des Bruders gar nicht erst ab, sondern stampfte einfach weiter in Richtung des Refektoriums. Gott sei Dank würde er während der Mahlzeit seine Ruhe vor Cyril haben, sobald dieser zu ihm aufgeschlossen haben würde. Normalerweise wurden die Mahlzeiten im Kloster schweigend zu sich genommen, während ein einzelner Bruder aus der Bibel vorlas und alle anderen ihm lauschten. Aber auch, wenn er und Cyril gleich nur zu zweit essen würden, konnte er sich auf das klösterliche Schweigegebot beim Essen berufen, um ein Gespräch im Keim zu ersticken.
Als er an dem säulengestützten Eingangsbereich des Speisesaals anlangte, blieb er stehen. Sein Zorn verebbte allmählich, während er darauf wartete, dass Cyril in einholte. Mit jedem Atemzug, der als kleines Wölkchen in die klirrend kalte Luft entwich, schien ein kleines Stück seiner brennenden Wut von ihm abzufallen und seine Vernunft zurückzukehren. Erst jetzt gelang es ihm, das gerade erlebte rational zu bewerten... auch wenn sich die Ereignisse rational nicht erklären ließen.
Was gerade geschehen war, schien sein Gefühl zu bestätigen, dass es mit Cyril irgendetwas besonderes auf sich hatte. Er war weiß Gott nicht der erste Mensch, der Richard in den Monaten, seit ihm diese Narbe zugefügt worden und sein rationales Weltbild in sich zusammengefallen war, an dieser Stelle berührt hatte. Weder die Finger des Hinterhofarztes, der Richard wieder zusammengeflickt hatte, als die Narbe frisch war und in nicht unbeträchtlichem Maße geblutet hatte, noch die fetten Finger des Abtes, der seine Hände nicht immer bei sich behalten konnte, hatten ein solches Ereignis hervorgerufen, wie es die schmalen, eleganten Finger des jungen Adligen getan hatten.
Die Erinnerungsfetzen und der brennende Schmerz, den Richard verspürt hatte, unterstrichen nur einmal mehr, als wie wertvoll Cyril sich für ihn würde herausstellen können. Doch war er auf die Mitarbeit des jungen Adligen angewiesen, wenn er die Puzzlesteine zusammenfügen wollten. Nach seiner unangebracht heftigen Reaktion gerade eben würde es sicherlich nicht einfacher werden, das wusste er auch. Also versuchte er zu retten, was zu retten war, als Cyril ebenfalls an dem von Säulen gestützten Vordach des Refektoriums ankam, und sagte: „Bitte entschuldigt meinen Wutausbruch. Der Schock über das... Ereignis, dessen Zeugen wir gerade geworden sind, saß mir tief in den Knochen, und unkluger Weise war meine erste Reaktion, Euch die Schuld zu geben. Dafür bitte ich um Entschuldigung.“
Richard sah sich unauffällig um. Mehrere Brüder, die ihren Beschäftigungen nachgingen, Holz hackten oder Futter für die Esel trugen, waren ebenfalls auf dem Innenhof. Keiner von ihnen schien in Hörweite zu sein, aber Richard wollte sich nicht noch einen Fehler innerhalb so kurzer Zeit leisten und ging kein Risiko ein.
„Cyril, Ihr habt es auch gespürt, oder? Hört zu, dies hier ist kein geeigneter Ort um darüber zu reden. Was haltet Ihr davon, wenn wir die Brüder, die mit dem Küchendienst betraut sind, nach etwas zu Essen und Trinken fragen, und die Speisen anschließend mit auf Euer Zimmer nehmen, damit wir uns fort in Ruhe unterhalten können. Dort werde ich Euch all Eure Fragen beantworten, sofern es in meiner Macht steht.“
Richard zog die eisenbeschlagene Tür zum Refektorium auf. Einladende Wärme und der Geruch von Essen schlugen den beiden jungen Männern entgegen, und der Mönch machte eine auffordernde Geste.
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 23 Aug 2016 - 21:56

Energisch trennten sich die Lippen, die den Atem zurückhielten, als sein Körper ihn wieder in die Realität zog. Kalt stach die frische Luft, die er so gierig einsog, vom Schlagen des eigenen Herzens betäubt wurde. Der Blick der blauen Augen verfinsterte sich, hing an den braunen Seelenspiegeln seines Gegenübers, vermochte aber nichts zu sehen. Es war entrückt, verloren und so unendlich weit weg: dieses Gesicht, welches er ansah. Die Szenen, die er gerade noch wahrgenommen hatte, ohne die Zeit bekommen zu haben, sie zu verstehen, waren ebenso abrupt abgeklungen, wie sie in seinen Geist eingefallen waren. Langsam setzte sich das Hier und Jetzt wieder zusammen, malte sich die Welt um das Gesicht des Mönches herum erneut. Cyrils Körper zwang ihn zum ausatmen. Auch wenn es unmöglich war, so fühlte er sich wie im Zeitraffer, als wäre der Sand der Zeit inmitten seines ewigen Kreislaufes eingefroren. Mit dem aufkommenden Ärger Richards holte ihn jetzt alles wieder ein. Mit einem ächzenden Laut, der diesen unangenehmen Schmerz ausdrückte, verlor sich das Schwarz aus dem Blau seiner Augen. Seine halb ausgestreckte Hand wurde von den kräftigen Fingern des Mönches unterhalb des Handgelenkes fest gehalten. Er spürte den Zorn, der an seine empfindliche Haut pochte, den Schmerz, die Wut, die Angst. Cyril blinzelte hektisch, verzog den Mund. Er versuchte sich zu wehren, sich gegen den Griff aufzulehnen. Vergebens. Die Drohung preschte an seinen Geist, ließ den fragilen Adeligen unwillkürlich in sich zusammen zucken. Sobald Richard von ihm abgelassen hatte, nahm er das gequetschte Gelenk in seine Obhut, rieb es abwesend. Das hatte ungeheuer weh getan. Diese abrupte Gewalt verunsicherte ihn zutiefst, ließ den sonst so vorlauten jungen Adeligen zu einem verletzten Kitz schrumpfen, dass seine Mutter verloren hatte. Niemals zuvor hatte er eine solche Empfindung gehabt, weil niemand es je gewagt hatte, Hand an ihn zu legen. Die Heftigkeit der Situation hatte eine ganz eigene Wirkung auf ihn, dass er unfähig war, Richard einen Vorwurf zu machen. Der Schmerz ebbte in seinen Körper, während er gedankenverloren die Stelle massierte, die sich auf der blassen Haut langsam rot färbte. Eine tatsächliche Verletztheit lag in dem Blick, den er dem Bruder zu warf. Doch dieser schien eher damit beschäftigt zu sein, eine möglichst große Distanz zwischen sie zu legen und stampfte in den Schnee hinaus.
Für einige wenige Augenblicke verharrte Cyril an Ort und Stelle, versuchte sich aus dem Chaos zu befreien, dass seinen Kopf beherrschte, zögerte dem Mönch zu folgen. Das Ganze erwies sich als überaus untypisch und abwegig. Was hatte er da gerade eigentlich gesehen? Eine solche Erfahrung hatte er bisher nie gehabt, sodass sie ihn vor Fragen stellte, deren Antworten womöglich im Bereich des Unmöglichen lagen. Er blinzelte seine Hand an, spürte das ständige Pochen in ihnen, das sich mehr und mehr wie ein Drängen anfühlte. Etwas hatte sich definitiv verändert. Etwas hatte bisher geschlummert und drängte jetzt hinaus. Etwas kribbelte unter seiner Haut, bereit sich seinem Griff zu entziehen. Cyril seufzte, senkte die Hand. Was auch immer er gerade gesehen hatte, Richard hatte es auch gesehen. So viel stand fest oder zumindest wollte ihm keine plausiblere Möglichkeit einfallen, die die plötzliche Kurzschlussreaktion des Mönches erklärte. Er schaute dem Mönch nach: Ja, irgendetwas quälte den Mönch, versteckte sich vor den Augen der Welt. Es schien schmerzhaft zu sein. Cyrils Lippen bewegten sich tonlos, formten stumm den Namen, der Person, die vor ihm davon lief.
Als einer der anderen Mönche auf Richard zu trat und der lautstarke Protest des Rothaarigen durch den Wind zerfressen an seine Ohren drang, verließ Cyril den Korridor, zog die Tür hinter sich in ihren Rahmen und beeilte sich dem Mönch zu folgen. Der Hof des Klosters lag immer noch in dem winterlichen Weiß, war jedoch mittlerweile mit den anderen Bewohnern des Stiftes angefüllt, die ihrem Tagewerk nachgingen. Es hatte aufgehört zu schneien und der kalte Wind wurde von den hohen Mauern, die ihn umschlossen abgehalten. Der Innenhof hatte tatsächlich etwas Schützendes an sich. Ihm gegenüber ragte das große Wohngebäude auf, dessen Grundstock etwas Römisches an sich trug und einen Eindruck davon vermittelte, wie lang dieser Boden schon heilig war. Der kleine tumultartige Zwischenfall vor den Stufen der Kapelle hatte einige neugierige Blicke geweckt, die sich von den beiden Mönchen schnell auf den Adeligen konzentrierten. Cyril hätte schwören können, dass ihm Unbehagen entgegnet wurde, wenn sich jemand erdreistete über ein skeptisches Stirnrunzeln hinaus von den Pflichten im klösterlichen Alltag abzusehen. Der Bruder, der gerade die Wut des impulsiven Rotschopfs erduldet hatte, starrte ihn unverhohlen an, zog seine Augenbrauen zu einer strengen Linie zusammen und blickte dann fragend und rätselnd Richard hinterher. Zweifelsohne würde bald das gesamte Kloster von dem sonderbaren Neuankömmling wissen, denn gerade in Mosney war das alles sehende Auge des Herrn ungetrübt. Cyril mühte sich zu einem freundlichen Lächeln und schickte Richards mahnenden Worten ein leises „Amen.“ nach, zuckte entschuldigend mit den schmalen Schultern. Dann war er auch schon den der anderen grünen Kutte vorbei und stolperte dann weiter durch den Schnee in Richtung des hölzernen Überbaus, der sich oberhalb der Refektoriumstür an den uralten Stein angliederte.
In gebührendem Abstand zu Richard blieb Cyril stehen, warf einen vorsichtigen Blick in das Gesicht, das sich unter Kapuze verbarg. Es schien weniger zornig, viel kontrollierter. Cyril verschränkte die Arme, wirkte jedoch nicht ganz überzeugend in seiner Ablehnung. Er lauschte der Entschuldigung, die ein wenig zerstreut klang, sodass deutlich wurde, dass es Richard tatsächlich beschäftigt hatte, wie er Cyril angefahren hatte. Der Adelige hob eine Augenbraue, musterte den Mönchen mit einem abschätzigen Blick, schien weniger verunsichert und seine wegwerfende Geste war beinahe schon wieder menschlich. Zu stark war die innere Aufregung die losbrach, als Richard mit seinen Worten nur bestätigte, was Cyril erahnt hatte. Es gab etwas zwischen ihnen, was sie sich beide nicht erklären konnten oder nicht verstanden. Nur konnte es nicht ausgesprochen werden. Cyrils Blick verhärtete sich zu der arroganten Maskerade, die für seine Standesgenossen üblich war.
„Ich weiß nicht, wovon Ihr sprecht, Bruder Richard.“ gab er in einem Ton zurück, der das Gegenteil bekräftigte. „Gut. Mein Zimmer.“ fügte er knapp hinzu „Aber Ihr dürft alles hinauf tragen.“ dann folgte er der Geste hinein in die Wärme des Speisesaals. War dort ein Lächeln gewesen, als er an Richard vorbei getreten war?

Die Wände warfen das Schlagen seiner Absätze wieder, als er durch die Korridore eilte. Nur mit größter Mühe konnte er dem Drang widerstehen einfach los zu laufen. Ihm war klar, dass etwas Unausgesprochenes zwischen ihm und Richard lag und das er offenbar nicht als Einziger diesen unerklärlichen Dingen begegnete. Seine Bewegungen waren dennoch gewohnt elegant und beherrscht, sodass man seine innere Hektik höchstens an der Schnelligkeit der Schritte erkennen konnte. Der Antrieb allein mit Richard zu sein und zumindest einen Ausblick auf die Wahrheit zu erhaschen war einfach zu groß. Selbst in der Küche hatte er mit seinen Blicken die arbeitenden Köche zu Eile angehalten und Richard davon abgehalten über einige liebevoll gezüchtete Narzissen herzufallen. Er wollte keine Zeit verlieren. Nicht jetzt. Nicht, wenn es etwas gab, was das Chaos vielleicht ordnete und die Dämmerung um seinen Geist lichtete. Umsichtig wie der ältere Mönch in der Küche gewesen war, hatte er alles in einen Korb verpackt, um Richard das Tragen zumindest dahingehend zu erleichtern. Cyril kannte zwar kein Gebet, doch er würde sich eines ausdenken. Von einer Zielstrebigkeit ergriffen stolzierte er vor Richard durch den Gang zu seinem Zimmer und für einige wenige Augenblicke erschien es, als wurde das Feuer der Fackeln heller, die Flammen stärker, als der Lord an ihnen vorbei eilte. Er passierte die Urne mit der Asche eines heiligen Karpfen und drückte die Tür zu seinem Zimmerchen auf.
„Setzt Euch.“ herrschte er den Bruder an und wies auf das Bett. Als Richard an ihm vorbei getreten war, warf Cyril einen prüfenden Blick den Gang hinunter, zog sich dann ebenfalls in die Kammer zurück und drückte die Tür hinter sich zu.
„Ich-“ setzte der Adelige an und fuhr sich mit beiden Händen durch die blonden Strähnen. „Ihr habt es also auch gespürt?“ er warf einen mit Neugier durchwirktem Blick zu Richard hinüber. „Ich weiß nicht, was ich gesehen habe...“ murmelte er „Als ich Euch berührte überkam mich eine Flut von Eindrücken, die ich nicht ganz zu ordnen kann.“ er schloss die Augen. „Es war alles so dunkel, so verschwommen. Ein Schmerz hat sich meiner bemächtigt. Ganz kurz, ganz heftig.“ er trat an den Mönch heran, streckte seine Hand abermals nach dem Gesicht aus, hielt dann jedoch inne, weil er sich eines Besseren belehrte. Sein Blick fiel auf die leichte Rötung seiner Haut, die immer noch zu sehen war. „Was war das?“ fragte er mehr sich, als tatsächlich an Richard gerichtet. Dann lauter „Was habt Ihr gesehen?“
Dann, wie vom Schlag getroffen, änderte sich die Haltung des Lords, die in diesem kleinen Intermezzo sämtliche Formalität verloren und den jungen Mann hinter dem Titel hervor treten lassen hatte. Was machte er sich eigentlich vor? Er war völlig verrückt geworden.
„Verzeiht -“ sagte er leise und fasste sich an die Stirn, atmete schwer aus, als beschäftige ihn etwas.
„Nach den Ereignissen gestern Nacht, dieses bedrohliche Grauen, welches mich ergriffen hat und der Marter der Träume, habe ich mich vollkommen vergessen.“ sagte er versucht beherrscht, scheiterte aber damit. „Ich muss völlig wahnsinnig geworden sein...“ murmelte er und ließ sich neben Richard auf das Bett fallen. Cyril vergrub sein Gesicht hinter seinen Händen, stemmte seine Ellbogen auf seine Oberschenkel.
„All das erscheint mir wie ein schlechtes Märchen.“ flüsterte er „Wie eine Horrorgeschichte, die dem Wahn und der Willkür eines Autors entspringt.“
Ein Seufzer entglitt in die vorgehaltenen Hände. „Aber es gibt keinen Horror, keine Geister, keine Dämonen!“ sprach er leise, wie ein heilbringendes Mantra.
Cyril hob den Kopf, starrte in das Gesicht des Mönches, wirkte zerrissen. „Nicht wahr, Richard?“
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 27 Sep 2016 - 1:20

Mit einer Energie und Schnelligkeit, die Richard von jemandem, der ein Leben in Dekadenz und Müßiggang führte, nicht erwartet hatte, lief Cyril durch die Gänge des Klosters zurück zu seinem Zimmer. Obschon er ungleich muskulöser war als sein Begleiter, hatte Richard Mühe, mit dem Lord Schritt zu halten, da er befürchtete, dass das Geschirr in dem Korb, den sie in der Küche bekommen hatten, gegen einander schlagen und zerbrechen würde, wenn er zu viel Elan in seine Schritte legte.
Als sie das Zimmer erreicht hatten, stellte Richard den Korb auf dem Fensterbrett ab und setzte sich auf Cyrils (wenig höfliche) Aufforderung hin auf einen der schlichten aber doch robusten Schemel, die in der Kammer standen. Während Cyril die Tür wieder ins Schloss drückte, deckte Richard den Tisch. Zwei einfache Holzteller, sowie zwei Trinkbecher aus Messing drapierte er ebenso liebevoll auf dem kleinen Tisch wie auch die etwas abgewetzten Messer. Auf einer Stoffserviette, die von dem gleichen gelblichen Grün war wie seine Kutte, legte er den halben Laib Brot, den man ihnen gegeben hatte, zusammen mit einer Salami von beachtlicher Dicke, einem Stück Ziegenkäse, etwas Butter und ein paar würzigen Kräutern. Die Kost in Mosney war zwar meistens relativ schlicht, was nicht zuletzt der recht isolierten Lage an der irischen Küste geschuldet war, aber dennoch schmackhaft. Die wenigen Luxuslebensmittel, die sie gelegentlich von der Diözese geliefert bekamen, landeten sehr schnell im privaten Vorratsschrank von Abt Nathaniel. Der Abt hatte Cyril nichts von seinen kulinarischen Schätzen angeboten – scheinbar endete die Zuneigung, die Nathaniel für Menschen von Macht und Reichtum verspürte, bei Angelegenheiten des Essens.
Anscheinend schien Cyrils Magen nicht so leer zu sein, wie der von Richard, denn anstatt sich an den Gaben des Refektoriums zu bedienen, kam der junge Adlige direkt zu dem Thema, dass zwischen ihnen hing wie ein dunkler Schatten. Auf die Frage, ob Richard es auch gespürt habe, nickte dieser nur stumm. Argwöhnisch fragte Richard Cyril, was dieser während des kurzen Augenblicks gesehen hätte. Wenn Cyril dieselben Dinge aus den Erinnerungen des Mönches zu Gesicht bekommen hatte, die vor Richards innerem Auge aufgeflackerten waren, dann würde er sich, klug wie er war, vermutlich denken können, dass Richards Motive beim Eintritt in den Orden des heiligen Cyprian nicht rein spiritueller Natur gewesen waren. Dass es der bloße Überlebenswille gewesen war, der ihn an diesen entlegenen Ort geführt hatte.
Nur mit Mühe hielt Richard einen Laut der Erleichterung zurück, als Cyril ihm gestand, die Bilder, die er gesehen hatte nicht zu verstehen. Diese Erleichterung verwandelte sich jedoch wenige Momente später in blanke Panik, als der junge Adlige Anstalten machte, seine fein manikürten Finger erneut auf Richards Narbe zu pressen. Der Mönch war mehr als bereit, die Hand, die sich seinem Gesicht nährte, beiseitezuschlagen, wollte er doch um nichts in der Welt einen weiteren qualvollen Ausflug in die Vergangenheit unternehmen, doch Gott sei Dank schien Cyril selbst zu begreifen, was für eine hirnlose Idee das war, denn er ließ die Hand von selbst wieder sinken.
Richard erhielt keine Chance, auf Cyrils Frage, was er denn während des Moments ihrer geistigen Verbindung gesehen habe, zu antworten. Gleich, nachdem er die Frage in den Raum gestellt hatte, brach der junge Adlige in einen Wortschwall darüber aus, dass das gerade eben erlebte doch nicht real sein konnte. Er endete mit einem unsicheren „Aber es gibt keinen Horror, keine Geister, keine Dämonen! Nicht wahr, Richard?“.
Richard stützte die Stirn auf seine Handfläche, atmete ein und ließ die Luft dann mit einem tiefen Seufzer nach draußen strömen. Wie viel sollte er Cyril offenbaren? Er ließ die Hand sinken und betrachtete sein Gegenüber nachdenklich. Obgleich sie nur drei Lebensjahre trennten, schien ihm der junge Lord, wohl ob seines verwöhnten Lebens, emotional unreif.
„Cyril, bitte setzt Euch. Wir sind beide ausgehungert, und mit gefülltem Magen lässt es sich leichter über schwer verdauliche Dinge reden, möchte ich meinen,“ sagte Richard, während er auf den freien Schemel ihm gegenüber deutete und sich gleichzeitig im Stillen fragte, wie um alles in der Welt er dazu kam, eine der sinnentleerten Weisheiten zu zitieren, die Abt Nathaniel nur allzu gern anführte, um seine Völlerei zu rechtfertigen.
„Präferiert ihr eher dicke oder eher dünne Brotscheiben,“ fragte Richard, als er das Messer ansetzte. Obschon er sicherlich über tadellose Tischmanieren verfügte, konnte Richard sich der Vorstellung nicht erwehren, dass Cyril in seinem ganzen Leben noch kein Stück Brot selbst vom Laib abgeschnitten hatte. Wenn er in seinem wohl behüteten Luxusleben überhaupt jemals etwas so ordinäres wie ein Butterbrot zu sich genommen hatte, dann war es ihm sicherlich komplett verzehrbereit kredenzt worden. Es war also weniger tatsächliche Höflichkeit und viel mehr die Angst vor einem abgeschnittenen Finger oder sonstigen Katastrophen, die Richard dazu brachte, die Butterbrote für sie beide zusammenzustellen.
Der erste Bissen machte Richard erst klar, wie hungrig er wirklich war. Die Aufregung der zurückliegenden Stunden hatte ihn die Leere in seinem Magen nicht vollständig spüren lassen, doch nun kannte er kein Halten mehr. Mehrere Minuten lang aß er nur eine Scheibe Brot nach der anderen, bevor er sich gekräftigt genug fühlte, um sein Tempo zu verringern und zwischen einzelnen Bissen zu erzählen begann.
„Wisset zunächst, dass ich vor 26 Jahren in der Stadt Leeds geboren wurde. Meine Eltern waren Waliser. Sie starben bei einem Kutschenunfall. Von diesem Zeitpunkt an war mein großer Bruder Albert meine gesamte Familie. Es gab für uns keinen größeren Alptraum, als in einem der schäbigen Waisenhäuser von Leeds zu enden, in denen die Kinder kaum mehr sind als Arbeitssklaven. Also wählten wir den einzig anderen Weg, der uns als Waisen offenstand und bestritten unseren Lebensunterhalt, indem wir uns mit allerlei kriminellen Elementen einließen. Wir durchliefen die übliche Karriere, die die Slums der Industrialisierung für Straßenkinder bereithalten: Taschendiebstähle, Einbrüche, Schlägereien, schließlich Gangmitgliedschaft. Zunächst hatte mein Bruder, war er ja drei Jahre älter als ich, eine Art Beschützerrolle für mich eingenommen. Doch er ist von eher spillerigem Wuchs und zaghaftem Wesen. Bald schon übertraf ich ihn an Körperkraft und Geschick. Er hingegen nutzte seinen scharfen Vestand und seine guten Kontakte, um Aufträge für uns an Land zu ziehen und uns aus Ärger herauszuhalten. Auch als Erwachsene sahen wir keinen Grund, unser Leben zu verändern. Wir waren ja gut integriert in die Unterwelt von Leeds, und auch wenn wir keiner organisierten Bande mehr angehörten, gab es mehr als genug Dinge, bei denen die Leute einen starken Arm brauchten und gut dafür zahlten.“
Richard zog in Betracht, ein weiteres Brot zu essen, besann sich dann aber eines besseren. Dies war wirklich kein geeigneter Zeitpunkt. Stattdessen sah er Cyril direkt in die Augen, als er fortfuhr: „Ihr mögt mich vielleicht für unmoralisch halten, für einen Verbrecher. Aber Ihr könnt wohl kaum beurteilen, wie das Leben auf den Straßen eines riesigen Industrieslums wie Leeds war. Und Ihr müsst mir glauben, wenn ich Euch versichere, dass ich bestimmte Grenzen nie überschritten habe. Ich habe zum Beispiel nie jemanden getötet.
Jedenfalls hatte ich mich mit meinem Leben weitestgehend abgefunden – ein anderes hatte ich ja auch nie richtig kennenlernen können. Meine... Dienstleistungen waren sehr begehrt, und Albert fand immer wieder neue Kunden, die bereit waren, mich für einen Diebstahl, eine Erpressung oder einen Sabotageversuch zu bezahlen. Bis zu jenem Tage, als ein gewisser Sir Donald Gray aus Bournemouth mich und drei weitere mir flüchtig bekannte Männer anheuerte, um einen Diebstahl zu begehen.
Es schien ein ganz normaler Job zu sein, auch wenn die Begleitumstände etwas merkwürdig waren. Aber Sir Donald zahlte gut, besser als alle meine bisherigen Auftraggeber, die mich je angeheuert hatten, und was er von mir und den drei anderen verlangte, hörte sich auch recht einfach an. Wir sollten in die Wohnung eines gewissen Charles George Harrison einbrechen und Sir Donald das Objekt bringen, dass sich in einer bestimmten antiken keltischen Holzschatulle befand. Er hatte sogar eine detaillierte Zeichnung, anhand derer wir die Schatulle erkennen sollten. Die Schatulle sei verschlossen, erklärte er uns, und man könne sie nur mit einem einzigartigen Bronzeschlüssel öffnen, in dessen Besitz er allerdings schon gelangt sei. Unter uns Vieren wählte er mich aus, den Schlüssel zu tragen – ob zu meinem Glück oder Unglück, vermag ich nicht zu sagen.
Sir Donald wollte, dass wir den Einbruch am Samstag, dem 18. Juli, kurz nach Einbruch der Dunkelheit durchführten. Ihm sei es zugetragen worden, dass Mr. Harrison zu diesem Zeitpunkt in einem der feineren Clubs der Stadt zu Gast sein und seine Wohnung somit verlassen sein würde. Auch, wenn er es uns nicht erzählte, konnte mein Bruder über seine Kontakte herausfinden, dass dieser Harrison ein bekannter Spiritist war und an jenem Abend in dem Club eine Séance für ein paar reiche, ältere Männer abhalten sollte.
Als wir die Tür zu seinem Apartment aufgebrochen hatten, staunten wir nicht schlecht. Das ganze Wohnzimmer war vollgestellt mit Regalen, die sich unter der Last alter, in Leder gebundener Bücher bogen. Kristallkugeln, Ouijabretter, schwarze Spiegel, eine Uhr, deren Ziffernblatt mit mir unbekannten Symbolen beschriftet war und allerlei andere okkulte Dinge waren in dem Raum, und obschon ich damals nicht an solche Dinge glaubte, wurde mir doch etwas mulmig zu Mute.
Die Schatulle war schnell gefunden – sie stand auf einem kleinen hölzernen Tisch, in dessen Platte allerlei Zeichen und Symbole eingebrannt waren, und sah ganz harmlos aus. Sie war aus dunklem Holz und reich verziert. Eine keltische Triskele war in den Deckel geschnitzt worden, und ein bronzenes Schloss hielt den kleinen Kasten fest verschlossen.
Ich versuchte, die Schatulle hochzuheben, doch seltsamerweise schien sie mit dem Tisch wie verwachsen zu sein. Da Sir Donald uns ohnehin explizit aufgetragen hatte, ihm nur den Inhalt der Box zu bringen, und meine Kumpanen anfingen, unruhig zu werden, nahm ich also den kleinen Bronzeschlüssel zur Hand und schloss das Kästchen auf. Ich vermag das Gefühl nicht zu beschreiben, dass mich ereilte, als ich den Schlüssel im Schloss drehte, doch die drei anderen schienen es nicht bemerkt zu haben. Mir erschien es, als wäre es für einen kurzen Moment bedeutend dunkler in dem Zimmer geworden, und eine Eiseskälte bemächtigte sich meiner. Kurz dachte ich, beim Anheben des Deckels wäre ein feiner schwarzer Nebel aus der, wie ich mittlerweile vermute seit Jahrtausenden nicht geöffneten, Schatulle entströmt. Dann aber hatte ich den Deckel vollends zurückgeschlagen und blickte auf eine ebenholzschwarze, gänzlich glatte Steinkugel. Dies also war es, dass zu beschaffen Sir Donald uns so fürstlich bezahlte. Sie sah gar nicht so wertvoll aus, aber wer wusste schon, was so ein reicher alter Mann für seltsame Hobbys hatte.
Als ich nach der Kugel griff und meine Fingerspitzen die glatte und, zu meinem Erstaunen leicht warme, Oberfläche berührten, geschah wiederum etwas ungewöhnliches. Vor meinen Augen wurde es kurz schwarz und in meinem Kopf hörte ich tausende Stimmen vor Schmerz schreien. Doch das Gefühl verebbte eben so schnell, wie es gekommen war. Vorsichtig schlug ich die Kugel in ein Tuch ein, damit sie nicht zerkratzt werden würde, ließ sie in meine Tasche gleiten und verschloss die Schatulle wieder. Ich konnte es kaum erwarten, das Objekt abzuliefern und mein Honorar zu kassieren.
Ich weiß, dass meine Geschichte verrückt klingt, aber Ihr müsst mir glauben, Cyril! In den nächsten Tagen schien zunächst alles seinen gewohnten Gang zu gehen, und doch fühlte ich mich seltsam unruhig. Immer wieder kam es vor, dass ich, wenn ich die Augen schloss, kurze rätselhafte Blicke auf Dinge, die ich mir nicht erklären konnte, warf. Mit jedem Tag, der dann kam, wurden die Bilder deutlicher und verstörender. Und die Bilder kamen nun häufiger und verschwammen zunehmend mit der realen Welt. Mehr als einmal ging ich eine Straße entlang und sah dann plötzlich schwarzgeflügelte Dämonen über den Köpfen der Passanten auf Erkern und Vorsprüngen lauern oder abscheuliche Tentakel aus Kanalöffnungen schlagen. Als ich Sir Donald aufsuchen und um Rat fragen wollte, war er nirgendwo mehr zu finden. Mehr noch, immer öfter sah ich nun ein Ding, dass wie ein undurchdringlicher Schatten in menschlicher Gestalt, aus dessen Dunkel zwei gelben Augen funkelten, daherkam und mich stets aus einiger Entfernung anzustarren schien. Seine stechenden Blicke ließen mir das Blut in den Adern gefrieren und ich zitterte unkontrolliert. Und jedes mal, wenn der Schatten sich blicken ließ, schien er mir etwas näher gekommen zu sein.
Ich versuchte mit meinem Bruder, der so klug war und immer Rat wusste, darüber zu reden. Er wollte mich verstehen, aber ich fand die richtigen Worte nicht – zu unglaublich, zu wahnsinnig klang das, was vorsichging, sogar in meinen eigenen Ohren. So sagte ich ihm nur, dass es ein Problem gäbe, und ich einen der drei Männer sprechen müsste, mit denen ich bei dem Einbruch zusammengearbeitet hatte.
Ich glaube, klug wie er ist, wusste er ganz genau, dass dies nicht die volle Wahrheit war, aber aus Loyalität mir gegenüber schaffte er es, mir über seine diversen Kontakte Namen und Adresse eines der Männer zu geben. Frank Mitchell hieß er, war 33 Jahre alt, verheiratet und Vater zweier Söhne.
Als ich in das Mietshaus kam, wo Mitchell wohnte, fand ich die Tür zu seiner Wohnung unverschlossen vor. Da mein Klopfen unbeantwortet blieb, betrat ich kurzerhand das kleine, schäbige Apartment.“
An dieser Stelle musste Richard einen kurzen Augenblick pausieren, um seine Gedanken in halbwegs kohärente Form zu bringen. Diese Bilder, mehr als alle anderen, würde er nie vergessen können. Schließlich fuhr er langsamer, als er sonst sprach, fort: „Die Wohnung war ein einziges Schlachthaus. Sie hatten wohl gerade beim Mittagstisch gesessen, als der Tod sie ereilt hatte. Es gab keinerlei Kampfspuren, abgesehen von den Verletzungen der Leichen. Mitchell, seine Frau, und die Söhne... allesamt tot. Bevor sie wussten, wie ihnen geschah, in Fetzen gerissen von einem Angreifer, den sie, wie ich vermute, weder sehen noch hören konnten. Und auf der anderen Seite des Raumes, mir und der Eingangstür gegenüber, stand der Schatten und starrte mich an. Und dann schnellte ein schwarzer, schleimiger Tentakel mit einem gebogenen Widerhaken am Ende aus dem dunklen Leib hervor, um mich genauso zu zerreißen, wie es Mitchell und seiner Familie geschehen war. Doch ich bin schnell, und ich konnte den Angreifer sehen. Ich wich dem Tentakel aus, doch selbst all meine antrainierte Schnelligkeit war nicht genug für diesen Gegner. Der Widerhaken, der sich sonst durch meine Kehle gebohrt hätte, streifte nur mein Gesicht und riss das Fleisch mehrere Zentimeter tief entzwei. Ich drehte mich um und rannte aus der Wohnung. Der Schatten setzte mir nicht nach, vielleicht aus Überraschung darüber, dass ich ihn hatte sehen können. Ich vermute, dass die Berührung der Steinkugel mir die Fähigkeit gegeben hatte, das Wesen erkennen zu können.
Ich lief auf die Straße und mischte mich unter die Passanten. Am helllichten Tage und unter so vielen Menschen, würde mich die Kreatur nicht angreifen, hoffte ich. Ich irrte ziellos durch die engen Straßen von Leeds, bevor ich beschloss, den Rat des einzigen Menschen einzuholen, auf dessen Urteil ich mich immer hatte verlassen können. Ich ging also zurück dorthin, wo ich mit meinem Bruder eine kleine Zweizimmerwohnung gemietet hatte, um ihm alles zu erzählen. Doch wie ich um die letzte Ecke bog, da sah ich ihn... Der Schatten war mir vorausgeeilt, wusste, wo ich wohnte, stand nun regungslos wie eine Statue vor der Tür zu unserem Haus und blickte mich aus seinen gelben, seelenlosen Augen direkt an. Da wusste ich, dass Sir Donald uns betrogen hatte und ich wohl nie wieder in meinem Leben frei sein würde.
Als ich den Schatten vor dem Haus auf mich warten sah, machte ich auf dem Absatz kehrt und lief davon. Erneut irrte ich ohne Ziel und Orientierung durch die Stadt, krank vor Sorge um meinen Bruder. Bis heute weiß ich nicht, ob er noch am Leben ist und sich in diesem Moment vielleicht fragt, wohin ich verschwunden bin, oder ob der Schatten ihn getötet hat. Ich rede mir ein, dass es keine Veranlassung für den Schatten gab, ihm etwas anzutun, aber schuldig fühle ich mich dennoch. Ich bin mir jedoch sicher, dass von den zwei anderen Männern, die mit mir und Mitchell im Raum gewesen waren, als ich diese verfluchte Schatulle öffnete und dieses Übel auf die Welt losließ keiner mehr am Leben sein dürfte.
Mit dem Verschwinden von Sir Donald Gray und dem Weg zu meinem Bruder blockiert, gab es nur noch einen Ansprechpartner, der mich retten konnte. Ich musste Harrison in seinem Apartment aufsuchen und ihm den Diebstahl beichten.
Der Spiritist war natürlich angemessen schockiert von meinen Enthüllungen, aber sein Zorn war schnell verraucht als ich ihm von dem Wesen erzählte, dass mich verfolgte und schon mindestens vier Menschen getötet hatte. Er selbst hatte keine Ahnung, was das für ein Ding war, und auch der Inhalt der Schatulle war ihm unbekannt gewesen. Er sagte, er hätte das Kästchen bei einer Auktion erstanden, da er eine gewisse magische Energie gespürt hätte, die von dem Objekt ausging. Er hätte es jedoch trotz all seiner Bemühungen nie geschafft, das Schloss zu öffnen oder aufzubrechen und den Inhalt der Schatulle zu ergründen, weshalb er nichts für mich tun könne. Dann bat er mich aufs Eindringlichste, ihn nun zu verlassen, da ja ganz offensichtlich ein tödlicher Fluch auf mir liege. Ich würde ihn in Gefahr bringen. Ich hatte keine Wahl, denn Harrison hatte jedes Recht, die Polizei zu rufen und mich in Handschellen abführen zu lassen. Auf der Türschwelle hielt er mich jedoch noch einmal zurück. Ich weiß nicht, ob meine Verzweiflung und meine Todesangst sein Mitleid geweckt hatten, aber ich werde ihm auf Ewig dankbar sein. Er berichtete mir von einem Orden von Mönchen, der in verschiedenen Ländern verstreute Kloster unterhalte und sich jenseits des Nachdenkens über das göttliche Gebot auch mit dem Okkulten beschäftige. Dieser Orden verfüge über das größte gesammelte magische Wissen der Welt, und seine Klöster seien mit mächtigen Schutzbannen gesichert, die jeglichen Geistern und Dämonen den Zutritt verwehren. Ihr könnt Euch mittlerweile sicherlich denken, dass vom Orden des heiligen Cyprian die Rede war. Noch am selben Tag buchte ich mit dem wenigen Geld, dass ich bei mir hatte, eine Schiffspassage nach Irland. Von Dublin aus war es eine Wanderung von fast drei Tagen bis nach Mosney. Ich wagte nicht, zu schlafen, und wanderte Tag und Nacht ohne Unterlass. Der Schatten war mir über das Meer gefolgt, und immer wieder sah ich ihn, wie er mich aus immer kürzerer Entfernung belauerte. Jeden Moment erwartete ich, dass er zum tödlichen Angriff ansetzen würde, doch ich hatte Glück. Völlig entkräftet und dem Tode nahe erreichte ich das Kloster Mosney. Die Mönche pflegten mich, bis ich wieder bei Kräften war, und nahmen mich in ihrer Mitte auf. Der Spiritist schien die Wahrheit gesagt zu haben: seit ich im Kloster weile, habe ich den Schatten nicht ein einziges mal mehr in meiner Nähe gesehen. Und auch die anderen unheiligen Kreaturen, die mir in der Stadt immer wieder untergekommen waren, sind nun verschwunden.
Ich habe mich längst an das Klosterleben gewöhnt und fühle mich hier wohl, auch wenn die Mönche mir noch nicht vollends vertrauen und mich, von ein paar Taschenspielertricks abgesehen, noch nicht in ihre okkulten Geheimnisse eingeweiht haben. Auch, wenn ich meinen Bruder Albert schmerzlich vermisse und mich die Ungewissheit über seinen Zustand innerlich zerreißt, fühle ich mich hier zum Ersten mal in meinem ganzen Leben als Teil einer Familie. Und das gefällt mir.
Aber dennoch plane ich nicht, mein ganzes Leben als Mönch zu verbringen. Letzten Endes bin ich doch immer noch ein Gefangener. Der Schatten wird nie aufhören, mich zu jagen, und entfernte ich mich von den gesegneten Ländereien von Mosney, er würde mich früher oder später sicherlich töten. Es gibt für mich nur einen Weg...“
Richard brauch unvermittelt ab, hob einen Finger an die Lippen und bedeutete Cyril mit einem eindringlichen Blick, ruhig zu sein. Den warnenden Blick weiter auf den jungen Lord vor ihm gerichtet, erhob Richard sich von dem Schemel, wobei er sich darauf konzentrierte, kein Geräusch zu machen. Mit wenigen lautlosen Schritten war er bei der Tür angelangt, zog sie auf und streckte seinen Kopf hinaus. Kein Mensch war zu sehen... aber war da nicht gerade ein flüchtiger Schatten gewesen, der am Ende des Ganges um die Ecke verschwunden war? Oder spielte ihm seine Fantasie vor lauter Nervosität nur einen Streich. Das Erzählen seiner Geschichte, die er sonst noch niemandem in solcher Detailliertheit anvertraut hatte, schien seine Innere Unruhe nur noche inmal verstärkt zu haben, anstatt sie zu lindern. Plötzlich fühlte er sich so unglaublich entblößt und verletzlich; so hilflos, wie ein verlassener Säugling, der in der Wildnis von Wölfen aufgegriffen wurde.
Was war los mit ihm? Dieses Kloster war ihm doch in den vergangenen Monaten zur vertrauten Heimat geworden. Er war doch extra hierher gekommen, um Schutz vor den dunklen Mächten zu finden, die sich an seine Versen geheftet zu haben schienen. Was konnte ihn denn schützen, wenn nicht die geheiligten Mauern von Mosney?
Vorsichtig drückte der Mönch die hölzerne Tür wieder ins Schloss. Einmal mehr verfluchte er Bruder Laurs dafür, den Schlüssel zu dieser Tür verloren zu haben.
Er ging zurück zu Cyril und setzte sich wieder an den Tisch ihm gegenüber. Ein Blick aus dem kleinen Fenster verriet ihm, dass der Schneefall wieder eingesetzt hatte. In tiefen Zügen sog er die warme Luft und den vertrauten Geruch von Mosney ein, um sich zu beruhigen. Und doch war dieses mal an der Luft, die durch seine Nase strömte, etwas anders. Ein Aroma, dass ihm zuvor nie aufgefallen war. Er brauchte einen Moment, um den Geruch Cyril zuordnen zu können. Verdammt, der Bursche roch gut. Augenblicklich schob Richard diesen Gedanken beiseite. Das gehörte jetzt nicht hierhin.
Stattdessen fixierte er abermals Cyril und sagte: „Hört zu, Cyril. Ich weiß nicht, was Euer Erscheinen hier zu bedeuten hat, aber Ihr seid etwas besonderes. Abt Nathaniel hat das genauso erkannt wie ich. Ich brauche Eure Hilfe...“
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 1 Okt 2016 - 1:17

Offenbar schien es der Mönch alles andere als eilig zu haben. Die eben noch so harsch zu Tage getretene Dringlichkeit, war nun einer bedächtigen Ruhe gewichen. Mit einem Hauch von Verzweiflung versuchte er mit den Augen einen Hinweis darauf zu erfassen, was in dem Mönch vorging, was als nächstes geschehen würde. Es gelang ihm nicht. Dafür war sein Geist noch zu stark mit den absonderlichen Ereignissen beschäftigt, die sich seit gestern in sein Leben gezwängt hatten. Als Richard endlich etwas sagte und Cyril ihn erneut anblickte, betrafen seine Worte lediglich seinen leeren Magen und seine Absicht etwas zu essen. Die blauen Augen des Adeligen weiteten sich für einen Anflug von schierer Fassungslosigkeit. Das konnte doch nicht sein Ernst sein? Er blinzelte. Doch, offenbar schon.
Mit einem unterdrückten Zungenschnalzen drückte er sich von dem schlichten klösterlichen Bett hoch, folgte stumm der Einladung sich zu setzen. Vorsichtig rückte er den Schemel zurecht, setzte sich. Ihm war es unbegreiflich, wie er jetzt etwas essen sollte. Doch Richard schien die unausgesprochene Botschaft nicht erreichen, war er doch zu sehr damit beschäftigt, alles halbwegs vernünftig herzurichten und dem Laib Brot zu Leibe zu rücken. Ein skeptischer Blick folgte dem Messer, als es die erste Scheibe sauber abtrennte. „Dünn.“ gab er spitz von sich, weil es ihm die klügste Variante zu sein schien. Wer wusste schon, wie lange er auf diesem Brot herum kauen musste, weil es nicht in einer Backstube mit exquisitem Namen gebacken worden war. Abgesehen davon fehlte ihm jedes Gespür für den Hunger, den Richard offenbar voraussetzte. All diese weltlichen Belange waren ihm gerade fremd. Er starrte den Bruder völlig geistlos an, wunderte sich über die seelenruhige Routine mit der sein Gegenüber eine Scheibe nach der anderen erst vom Brot, dann von der Salami und schließlich von dem Stück Käse abschnitt. Es waren kleine, schnelle und saubere Griffe in denen der Mönch völlig versunken war, obwohl es nur Kleinigkeiten sein konnten, Alltägliches. Cyril runzelte die Stirn. Ob Richard sich selbst Zeit einräumte? Was, wenn er wirklich mehr wusste und ihm plötzlich klar geworden war, welches Risiko sich dahinter verbarg, sich einem letztendlich Fremden zu offenbaren. Nicht, dass er sich womöglich doch in Schweigen hüllte? Doch noch ehe er dazu Gelegenheit bekam seine aufkeimenden Zweifel zu kommunizieren, reichte man ihm seinen Teller und Richard begann zu essen. Er genoss die großen Bissen, mit denen er ein Brot nach dem anderen verzerrte, Cyril konnte es sehen. Behutsam knibbelte er an an der Kruste seiner mit maskuliner Präzision beschmierten Brotscheibe, zupfte vereinzelte Stückchen heraus und führte sie an die schmalen Lippen. Er hatte tatsächlich keinen Hunger, denn der Wissensdurst tilgte ihn vollständig.
Der milde Ausdruck, den er als Privilegierter für die Bedürfnisse der einfacher gestrickten Individuen seiner Art zu erübrigen gelernt hatte, wich zunehmend einer missbilligenden Ungeduld. Wie konnte man bloß so viel in sich hinein schieben? Mit einem leisen Räuspern wollte er auf die Unhöflichkeit der Situation aufmerksam machen. Ohne seine Bedeutung zu entfalten verhallte es an den dicken Mauern seiner zellenartigen Unterkunft, die ihm erneut schmerzlich bewusst werden ließ, dass er sich hier keineswegs in den höfischen Gefilden unter gleichermaßen zivilisierten Menschen befand. Doch gerade als er eine Spitze über die gebotene Mäßigung eines Diener Gottes auf den Lippen hatte, begann Richard sein Frühstücksritual zu unterbrechen und seine Geschichte zu beginnen.
Kutschenunfall? Cyril hob verwundert eine seiner schlanken Augenbrauen. Wie sollte sich jemand aus solch bescheidenen Umständen denn eine Kutsche leisten? Richard wies keine sonderlich feinen Züge auf, sodass ihm jegliche hohe Herkunft sicherlich fehlte. Abgesehen davon wurde man als Sohn hoher Herren nicht in einer Stadt geboren. Sicherlich waren sie bei einem dieser tragischen Situationen umgekommen, die sich ereigneten, wenn das einfache Stadtvolk den heran preschenden Droschken auf den Hauptstraßen nicht schnell genug ausweichen konnten. Als Richard damit fortfuhr seinen gewählten Weg als die ihm einzige Möglichkeit zu etablieren, schenkte ihm der blonde Mann nur einen abschätzigen Blick. Es gab so viele Wege sich als nützlicher Teil in das gesellschaftlichen Gefüge einzugliedern. Nicht umsonst gab es all die wohltätigen Organisationen, die von der finanziellen Zuwendungen und moralischen Pflichten der oberen Zehntausend getragen wurden. Die Wirtschaft meinte es nur all zu gut mit dem Volk, die Industrie boomte und in jeder Stadt – auch, wenn es nur eine irische war – gab es immer Bedarf an Arbeit und gerade für die engen Schächte in den Untertagebauten sollten sich Kinder hervorragend eignen. Zumindest hatte Cyril das gehört. Sich einer dieser dreckigen Straßenbanden anzuschließen, die sich im Schatten der rußenden Fabriken tummelten, war seiner Meinung nach daher äußerst verwerflich. Natürlich war er als gebildeter Mensch nicht so naiv, dass er alle Menschen in ein Schwarz-Weiß-Raster einteilen wollte. Dieser Gedanke schien ihm dann doch zu unmodern und längst überholt. Denn gerade in diesem schlagartigen Bevölkerungswachstum und der schnellen Urbanisierung, war so viel aus den alten Bahnen geraten, dass man stets flexibel sein musste, wenn man nicht als Relikt der Vergangenheit im Strom der Gegenwart versinken wollte. Leider klangen Richards Worte zu stolz, als dass dies alles nur die sündhafte Geschichte eines bekehrten Mönches sein konnte. Cyril seufzte. Ja, da schien doch tatsächlich jemand durchaus sehr von sich und seinen „Dienstleistungen“ überzeugt zu sein. Was sich jedoch zuerst wie eine Lobrede auf einen besonders heiklen Auftrag anhörte, entwickelte sich alsbald zu einer Geschichte, die den Adligen vollständig zu bannen vermochte. Seine Finger hatten von der Kruste seines Brotes abgelassen, als er sich von den schweren Worten des Mönches in die schmerzliche Vergangenheit entrücken ließ.
Erst als der Erzählfluss abrupt abbrach, drängte sich die nüchterne Realität zurück in die Konzentration des jungen Lords. Doch von den Worten, die gerade an ihn gerichtet worden war, verständlicherweise zutiefst erschüttert, brauchte es einige Lidschläge, bis er verstehen konnte, warum Richard aufgehört hatte. Teilnahmslos folgte er dem Mönch, wie er sich lautlos erhob und dann an die Tür eilte. Hatte jemand gelauscht? Was hatte den Rothaarigen so verunsichert?
Als die Tür aufglitt erfasste ihn ein kühler Windzug, der es den Erinnerungen an die sonderbaren Eindrücke der gestrigen Nacht umso einfacher machte, den schmalen Körper in Besitz zu nehmen. Ohne, dass er sie aufhalten konnte, bemächtigten sich die Kälte und das Unwohlsein seiner Wahrnehmung, ließen all die Erinnerungsfetzen in düsteren Bildern vor seinem geistigen Auge auftauchen. Zu klar war das Gefühl, dass ihn gequält hatte, als er sich den gelben, starrenden Blick aus dem Unterholz eingebildet hatte. Dieses beklemmende Gefühl, dass jemand bei ihm gewesen, ihm feuchtwarm in den Nacken geatmet hatte. Was wenn - ? Cyril schluckte. In einem Anfall von geistiger Ohnmacht, klammerte er sich an dem schmalen Tisch fest. Was, wenn es nicht einfach nur Einbildung gewesen war? Was, wenn sich tatsächlich jemand da draußen aufgehalten hatte. Wenn irgendetwas dort gelauert hatte? Und, was ihn noch stärker verunsicherte, war die Begegnung mit der schwarzen Stille, die er draußen im Flur gehabt hatte. Nur mühsam gelang es ihm diese beiseite zu schieben und Richard mit wachen Augen anzusehen. Ihn fröstelte es.
„Danke....“ hauchte er, fasste sich an die Stirn, mühte sich zu einem Lächeln. „Dass Ihr so ehrlich gewesen seid, Bruder Richard.“ suchte er den diplomatischen Einstieg in das folgende Gespräch. Er brauchte noch ein wenig Zeit sich zu sammeln. Die Geschichte wirkte nach, das Echo der Erinnerung war noch nicht gänzlich abgeklungen.
„Ich weiß nicht-“ begann er und hielt dann doch inne, schien uneins. „Also-“ er schaute Richard jetzt direkt an „Also, glaubt ihr an all das? An okkulte Mächte, an Übersinnliches?“ Noch während er die frage aussprach, kam sie ihm dämlich vor, lag ihre Antwort mittlerweile doch offen vor ihm. Und diese Ahnung tief in ihm, dass an der ganzen Sache mehr dran war, als er zu glauben bereit war, hatte sich nur verstärkt. Okkultismus und fanatische Gruppierungen waren natürlich en vogue und ein netter Zeitvertreib in den Clubs und Herrenschaften der englischen Oberschicht, aber dass hinter dem Kartenlegen und dem Abhalten von inszenierten Séancen mehr stecken konnte, sprengte jegliches rationales Gefühl für die Wirklichkeit.
„Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll...“ gab Cyril kleinlaut zu, senkte seinen Blick auf seine Finger„Es tut mir wirklich leid, Richard. Das, was Euch widerfahren ist.“ gab der Adelige leise, aber aufrichtig von sich.
„Aber... ich habe gestern auf dem Weg vom Unfallort hinauf zum Kloster etwas gesehen – zumindest glaube ich das – ,was ich aber bislang als Hirngespinst abgetan habe.“ er schluckte „Mir war, als beobachteten mich zwei große gelbe Augen aus dem Unterholz.“
„Was auch immer Euch in der Wohnung von Frank Mitchell begegnet ist, womöglich ist es Euch hierher gefolgt....“
Es kam Cyril so unwirklich vor, all das. „Ich weiß nicht, was Ihr oder der Abt in mir seht. Ich bin bloß ein Adliger. Ich bin nicht einmal besonders gläubig.“ gab er verlegen zu. „Sollte aber tatsächlich etwas dahinter stecken, was ich nicht verstehe, dann finden wir vielleicht etwas, bei der verunglückten Kutsche? Und, wenn es nur mein Gepäck ist...“
Cyril schloss die Augen, atmete tief ein. Dann schaute er Richard lange an, schüttelte leicht den Kopf, dass ihm einige der wirren Strähnen in die Stirn fielen. „Ich will Euch nicht beunruhigen. Vielleicht sind es nur rege Fantasien und Gespinste eines geplagten Reisenden. “
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySa 8 Okt 2016 - 21:07

Der junge Lord brauchte wohl einige Augenblicke, um das Wissen, dass Richard ihm gerade offenbart hatte, zu verarbeiten. Der Mönch konnte förmlich sehen, wie es unter dem blonden Haarschopf seines Gegenübers arbeitete. Kurz fürchtete er, dass Cyril seine Geschichte nicht glauben würde. Ihn gar für verrückt erklären und all das Gesagte dem Abt zutragen könnte.
Cyril stammelte einen Moment vor sich hin und schien verwirrter zu sein, als Richard den jungen Adligen je zuvor erlebt hatte. Dann aber sammelte er sich scheinbar und stellte Richard geradeheraus die Frage, ob er wirklich an diese Dinge glauben würde.
„Natürlich tue ich das. Dachtet Ihr etwa, ich würde mir einen Scherz auf Eure Kosten erlauben,“ fragte Richard etwas erbost. Sofort tat es ihm Leid, so heftig reagiert zu haben, wusste er doch selbst, dass seine Geschichte wie die fiebrige Träumerei eines Verrückten klang. „Hört zu, ich weiß, dass es schwer zu akzeptieren ist und im Widerspruch zu allen rationalen Erkenntnissen unserer Zeit steht, doch ich versichere Euch, es gibt diese Dinge. Es gibt verborgenes Wissen und geheime Künste, und die Mönche an diesem Ort praktizieren sie. Auch, wenn sie mich noch nicht in ihre Geheimnisse eingeweiht haben, so habe ich doch schon ein paar Dinge beobachten können. Einmal sah ich, wie Abt Nathaniel, während er sich nicht bewusst war, dass ich ihn beobachtete, die Kerzen eines Kandelabers mit bloßen Händen entzündete, ohne Streichholz oder Feuerstein.“
Cyril schien noch immer nicht restlos überzeugt, doch dann sagte er etwas, das Richard elektrisierte, bestätigte es doch sowohl seine kühnsten Hoffnungen als auch seine bangsten Ängste. Cyril hatte die Augen der Schattenkreatur gesehen, die ihn verfolgte, kein Zweifel. Richard wusste nicht, was es zu bedeuten hatte, dass der junge Adlige das Wesen auch sehen konnte, genauso wie er, doch es erfüllte ihn mit einer unbestimmten Hoffnung. Er fühlte sich jetzt ein kleines bisschen weniger allein in seinem Kampf.
Es fiel Richard schwer, seine Gefühle in Worte zu fassen und er musste tief durchatmen, bevor er sich an Cyril wandte: „Ich denke, dass die göttliche Vorsehung es war, die uns zusammengeführt hat. Dass auch Ihr dieses Wesen zu Gesicht bekommen habt, muss etwas zu bedeuten haben. Vielleicht gelingt es uns gemeinsam, diese dunklen Rätsel zu entschlüsseln und Verständnis zu erlangen. Ich weiß nicht, wieso Euch diese Fähigkeit gegeben wurde, doch wir müssen lernen, sie zu verstehen. Wer weiß, vielleicht schlummert in Euch ja ein ungeahntes Potential, dass es nur zu erwecken gilt. Es gibt viel zu tun, doch wo sollen wir anfangen?“
Als Cyril vorschlug, zunächst der verunglückten Kutsche einen Besuch abzustatten, hatte Richard nichts einzuwenden. Dies schien der nächste logische Schritt zu sein. Zwar juckte es den Mönch in den Fingern, Cyrils klassische Bildung auszunutzen und ihn dazu zu bringen, ihm einige der auf Griechisch und Latein geschriebenen Bücher in der Bibliothek zu übersetzen, doch wusste er auch, dass es unklug wäre, Cyril dorthin mitzunehmen, solange es dort nur so von seinen Brüdern wimmelte. Nein, dass würde bis zum Einbruch der Nacht warten müssen.
„Eine sehr gute Idee, Cyril,“ meinte Richard also, „lasst uns nun denn gehen. Aber zieht Euch warm an, denn es sieht aus, als stünden uns weitere Schneefälle bevor.“
Die beiden verließen also die behaglich warmen Wohnquartiere und machten sich auf den Weg zum Tor. Tatsächlich hatte es bereits wieder angefangen zu schneien, als sie das Gebäude verließen, und über den Innenhof schritten. Ein paar Mönche beobachteten sie und tuschelten hinter vorgehaltener Hand, denn die Kunde von Cyrils Ankunft schien sich mittlerweile im Kloster herumgesprochen zu haben, doch Richard tat sein bestes, das zu ignorieren. Als sie den steilen Küstenpfad hinabstiegen, sah Richard zu seinem Unbehagen, dass bereits zwei Mönche an der halb begrabenen Kutsche zugange waren. Anscheinend hatte Abt Nathaniel zwei seiner Brüder entsandt, um sich des Fahrzeugs anzunehmen. Warum, wusste Richard nicht. Erst, als sie schon bis auf zwanzig Meter heran waren, wurde ihm klar, dass die beiden Mönche anscheinend damit beschäftigt waren, den im Gesicht blau angelaufenen Leichnam des Kutschers freizulegen.
„Gott zum Gruße, Bruder Richard,“ rief einer der beiden, Bruder Shanahan, ein kleiner, dürrer Mann mit funkelnden, gierigen Augen, den Ankommenden über das Rauschen des Meeres entgegen. Bei ihm war Bruder Pongus, der nicht viel redete aber noch um einiges muskulöser gebaut zu sein schien, als Richard selbst.
„Gott zum Gruße, Brüder! Wie ich sehe, hat unser Herr Abt Euch beide mit der Dankbarsten aller Aufgaben betraut,“ erwiderte Richard mit einer gewissen Gehässigkeit, denn er fand Bruder Shanahan nicht eben sympathisch. Im Kloster kursierten immer wieder Gerüchte, dass Shanahan es mit seinen Gelübden nicht allzu genau nahm und sich hin und wieder weltlichen Versuchungen hingab. Abt Nathaniel waren die Gerüchte sicherlich auch zu Ohren gekommen, aber das hielt ihn nicht davon ab, Bruder Shanahan die Art von Vorzugsbehandlung zukommen zu lassen, die er nur seinen persönlichen Favoriten angedeihen ließ. Umso erstaunlicher, dass er sich hier draußen beim Versuch, die übel zugerichtete Leiche des Kutscher zu bergen, die Finger abfror.
„Irgendjemand muss es ja erledigen, und ich hatte sowieso nichts besseres zu tun,“ sagte Shanahan schulterzuckend. Dann fiel sein Blick auf Cyril: „Ist das unser nobler Gast, von dem der Abt mir berichtete? Jung sieht er aus.“
Richard gefiel die Art und Weise, in der der Bruder über Cyril sprach, nicht sonderlich und er schenkte seinem deutlich kleineren Gegenüber einen finsteren Blick, bevor er sich Cyril zu wandte und ihm mit gedämpfter Stimme, so dass ihn die anderen beiden Mönche nicht hören konnten, zuflüsterte: „Seid auf der Hut, Cyril. Die Anwesenheit von Bruder Shanahan verheißt nichts Gutes. Wartet mit dem Umsehen, bis die beiden verschwunden sind. In der Zwischenzeit seht nach, ob Eure Gepäckstücke noch vollständig vorhanden sind.“
Richard vergrub die Fäuste in den Taschen seines Habits. Hier draußen an der Küste war der Wind sogar noch um einiges kälter und beißender als innerhalb der Klostermauern. Er beobachtete, wie die beiden Mönche sich nun daran machten, den umgestürzten Baum beiseite zu schieben. Mit Bruder Pongus Stärke war dies ein Leichtes und schon bald gab der umgestürzte Baum das Fahrzeug frei.
Sogar Richard, der in seinem Leben in Leeds schon einiger schrecklicher Dinge Zeuge geworden war, zuckte angewidert zusammen, als der Ast, der den Schädel des Kutschers genau zwischen den Augen durchbohrt hatte, mit einem abscheulichen Schmatzgeräusch herausgezogen wurde. Es war beachtlich, dass es trotz der klirrenden Kälte der letzten Nacht anscheinend noch Flüssigkeit im Gehirn des Mannes gab, die noch nicht zu Eis erstarrt war.
Bruder Shanahan bekreuzigte sich, bevor er sich mit Bruder Pongus daran machte, den Körper vom Kutschbock zu hieven. „Dominus dedit, Dominus abstulit. Wir bringen den Körper in den Keller der Kapelle um ihn zu reinigen und zu salben.“ An Ciel gewandt fügte der Mönch hinzu: „Wir werden den Leib dort aufbahren, vor der morgigen Beerdigung. So Ihr wünscht, mein Lord, habt Ihr also Gelegenheit, Euch in aller Stille von Eurem verschiedenen Gefährten zu verabschieden.“
Richard sah den beiden nach, wie sie sich auf dem steilen Pfad zum Kloster entfernten. Es entging ihm nicht, dass Bruder Shanahan ein ums andere mal einen kurzen Blick über die Schulter zu ihnen zurückwarf, während Bruder Pongus den steifen Leichnam wie einen Korb voller nasser Wäsche vorsichhertrug und in gleichbleibendem Tempo durch den Schnee stampfte.
„Wie hieß er, Euer Kutscher,“ fragte Richard und sah Cyril dabei in die Augen, versuchte, seine Gefühle zu erraten. Es interessierte ihn, wie der junge Lord seine Untergebenen betrachtete. „Hat er schon lange für Euch gearbeitet? Stand er Euch nahe?“
Die Antwort interessierte ihn weniger um des Kutschers Willen als vielmehr, weil er mehr über den jungen Adligen und dessen Wesen in Erfahrung bringen wollte. Wie sehr interessierte ihn das Schicksal derer, die von niederer Geburt waren? Wie dachte er über seine Untergebenen? Und was hielt Cyril wohl von ihm?
Richard wartete noch einen Moment, nachdem Shanahan und Pongus über den Hügelkamm in Richtung Kloster verschwunden waren, dann drehte er sich zu Cyril um. „Sie sind fort. Nun wollen wir doch einmal sehen, ob wir nicht vielleicht etwas interessantes finden können. Danach helfe ich Euch, Euer Gepäck auf Euer Zimmer zu schaffen.“
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyDi 11 Okt 2016 - 18:45

Mit einem schweren Lächeln beobachtete er den Bruder vor sich, der ihn ebenso eindringlich zu erforschen versuchte. Er schien bis aufs Äußerste von dieser Geisterbegegnung überzeugt und offensichtlich auch gezeichnet zu sein. Die Vehemenz in seiner Stimme als er sich gegen den leichten Vorwurf einen Witz gemacht zu haben verteidigte, stützte diesen Eindruck zusätzlich. Cyril seufzte. Ihm war es deutlich anzusehen, wie stark ihm all dies zusetzte, welche Verwirrung es in ihm auszulösen fähig gewesen war. Liebend gern hätte er gelacht, Bruder Richard mit einem vielsagenden Blick gestraft und ihn bestimmt zur Vernunft ermahnt. Doch er wusste, was er gesehen hatte. Wusste, was ihm die Haare im Nacken aufgerichtet hatte. Das Gefühl der Ohnmacht war nur allzu greifbar gewesen, als die Panik ihn ergriffen hatte. Und genau das machte es jetzt umso unheimlicher. Denn wenn er nicht einmal mehr seinen Sinnen vertrauen konnte, was blieb ihm dann für eine Alternative außer dem Wahn?
Cyril war sosehr mit seinen Fragen an die Realität beschäftigt, dass er nur halbherzig zuhörte, als ihm Richard beschwichtigend beteuerte, dass er unlängst Beobachtungen machen konnte, dass hinter der Verschwiegenheit der Klostermauern einige unerklärlichen Dinge geschahen. Cyril nickte stumm und überlegte, wie man eine Kerze anzünden konnte, ohne ein Zündholz zu Hilfe zu nehmen. Er fokussierte die kleine Flamme, die zwischen ihnen auf dem Tisch leuchtete. Sie flackerte fröhlich, rußte ein wenig. Cyrils blaue Augen blendeten alles um die kleine Flamme aus. Die Flamme tänzelte, wand sich ein wenig, flackerte heftig, wurde schwächer. Ein irritiertes Blinzeln folgte, als die Flamme kleiner, das Licht schwächer wurde. Cyril zog die Augenbrauen zusammen, kräuselte die Stirn, während er im Inneren daran dachte, dass die Flamme vielleicht genauso leicht ausgehen konnte, wie Abt Nathaniel sie anzünden konnte.
„Göttliche Vorsehung? Meint Ihr nicht, dass es etwas absurd klingt?“ fragte Cyril mit einer zynischen Spur, blickte nun direkt Bruder Richard an. Von der direkten Konzentration des jungen Adeligen befreit, züngelte die Flamme den Docht hinauf und erstarkte.
„Welche Kräfte sollen in mir schon schlummern?“ fragte Cyril ernsthaft ungläubig und winkte mit einer wegwerfenden Geste ab, fuhr sich dann mit den Fingern an die Stirn, um die wirren Strähnen zu bändigen. „Es muss eine logische Erklärung für all das hier geben.“ bemühte er sich aufrichtig zu wirken „Und die werden wir finden müssen, Richard.“
Mit einem bekräftigten Gemüt erhob er sich von seinem Schemel, beugte sich vor und blies die Kerze aus. Nein, es gab keinen anderen Weg, die Flamme erlöschen zu lassen. Dann griff er nach seinem Frack, schob die Knöpfe in die dafür vorgesehenen Löcher, schlang den Mantel um seine Schultern, streifte die Handschuhe über und griff nach seinem Zylinder. Viel Auswahl hatte er ja nicht. Die wärmere Kleidung war noch in seinen Koffern. „Also dann.“ er straffte seine Schultern, lächelte und folgte Bruder Richard hinaus in den Korridor. Als er die Tür hinter sich zuzog, fühlte er sich bereit. Es war ein gutes Gefühl.

All die Zuversicht, die ihn gerade noch ergriffen hatte, verflüchtigte sich zusehends, als das schwere Tor hinter ihnen wieder zufiel. Der kalte Wind pfiff um die Mauern, wirbelte den Schnee in ihre Gesichter. Cyril setzte sich den Zylinder auf, rückte ihn bestimmt zurecht. Es war ein klammes Gefühl, was sich seiner bemächtigte, als er von hier oben den Weg hinunter zur Küste schauen konnte. Im Tageslicht sah das vor ihm liegende Areal zwar freundlicher, aber ebenso unwirtlich aus. Die kargen Sträucher, die durch die Schneedecke ragten, wirkten wie unendlich viele Klauen und Dornen, die den gesamten Hang säumten. Einige verstreute Bäume ächzten dem grauen Himmel entgegen. Das Meer war unruhig. Der Blick zu der Baumgruppe, die sich an der Küstenstraße befand, jagte ihm einen eiskalten Schauer über den Rücken. Genau dort meinte er die Augen gesehen zu haben, als er gestern Nacht zum Tor marschiert und Einlass verlangt hatte. Nun ragten nur graue, nackte Stämme in die Leere. Er folgte Richard den verschneiten Pfad hinab, kämpfte immer wieder mit seinem Gleichgewicht und den lockeren Schneeverwehungen, die einen festen Halt unmöglich werden ließen. Langsam schob sich die Kutsche in ihr Sichtfeld. Sie lag immer noch genauso trostlos auf der Straße, wie er sie verlassen hatte. Nur konnte er erst jetzt genau sehen, wie massig der Baum gewesen war, der nicht nur den vorderen Teil der Kutsche zerschlagen, sondern auch die komplette Straße blockiert hatte. Zwei grüne Kutten zeichneten sich im Schneetreiben ab. Offenbar war bereits jemand vom Kloster hinab gestiegen, um sich den Unfallort genauer anzusehen. Unwillkürlich verlangsamte der Blonde seine Schritte, wusste er doch zu genau, was dort unten auf ihn wartete, welches schreckliche Bild sich ihm erneut bieten würde. Er schlug den Blick nieder, konzentrierte sich darauf, wohin er trat.
Er als der Wind Worte zum Gruß an seine Ohren trieb, blickte er auf, musterte den hageren Mann, der sich unter der grünen Kutte mit Kapuze verbarg. Er hatte ein schmales Gesicht, äußerst dunkle Augen und einen entsetzlichen Oberlippenbart, wie er beim Militär in Mode gekommen war. Cyril hob eine Hand zum Gruße, so wie man es mit Leuten hielt, die man nicht in ein Gespräch verwickeln wollte. Sein Blick hing eher an der massigen Figur hinter dem dürren Mönch. Dieser Mann war ungleich muskulöser und größer, als alles, was Cyril in seinem Leben gesehen hatte. Er musste über zwei Meter messen und selbst die weite Kutte spannte sich an seinen Oberarmen, wenn er sich bewegte. Er trug nicht einmal eine Kapuze, sodass seine zur Tonsur zurück geschnitten braunen Haare sichtbar waren. Er blickte kurz auf, nickte erst Richard, dann dem Adeligen zu, ehe er sich wieder daran machte mit bloßen Händen den Schnee bei Seite zu schieben. Dass er dabei keine Handschuhe trug entging dem Adelszögling keineswegs. Mit einer Mischung von Entsetzen und Erstaunen löste er sich erst von der Gestalt, als man das Wort direkt an ihn richtete.
„Lord Cyril Gascoyne-Cecil.“ rief er, nickte zur Bestätigung und wirkte umso stärker vollkommen fehl am Platze.
Der Blick der blauen Augen lagen mahnend auf dem dürren Mönch, der kurz Anstalten machte, etwas zu sagen, als sich Richard an sein Ohr beugte, es sich dann schulterzuckend anders überlegte und dann seinem massigen Kumpanen zur Hand ging. Angestrengt lauschte er Richards warnenden Worten. Ja, er konnte ihm zustimmen, ohne die beiden Mönche zu kennen. Der kleine, hagere schien etwas Wölfisches an sich zu haben, etwas, das Cyril nicht gefiel. Er kreuzte Richards Blick, gab ihm zu verstehen, dass er verstanden hatte und drehte sich dann zur Kutsche. Er ließ seinen Blick darüber schweifen, ehe er zum Heck ging und das dort festgezurrte Gepäck inspizierte. Soweit sah alles unversehrt aus, niemand hatte sich an den Gurten und Schnallen zu schaffen gemacht. Es konnte sich also nach wie vor nicht um einen Überfall handeln, denn dann hätte jemand das Gepäck fortgeschafft oder es zumindest gesichtet. Cyril musterte die schneebedeckten schweren Koffer, dachte an das eigentliche Ziel seiner Reise. Es kam ihm jetzt so viel angenehmer vor, als hier in einem Kloster am Ende der zivilisierten Welt überwintern zu müssen. Vorher würde niemand die Kutsche instand setzen können, geschweige denn taugliche Zugpferde auftreiben. Traurig schloss er seine Augen, atmete seufzend aus. Ein schwerer Ruck ging durch die Kutsche, die Federung ächzte und als Cyril aufschaute, wackelte sie bedrohlich. Schnellen Schrittes war er zurück an die Seite Richards getreten, sah gerade noch wie dieser Koloss von Mönch den Baum beiseite drückte und die Kutsche so freigab. Als die Mönche den Leichnam vom Kutschbock hievten, schaute er fort, hielt sich die Hand vor den Mund. Er war nicht für einen solchen Anblick gewappnet gewesen. Das Gesicht war über und über mit gefrorenem Blut bedeckt, dass sich an den Augenbrauen gesammelt, über die Wangen und schließlich vom Kinn hinab getropft sein musste. Der blaue Ton der Haut und die klaffende Wunde, in der der Ast gesteckt hatte, gaben dem Toten einen Anblick, der auf den Magen schlug. Unmerklich schüttelte sich der junge Lord. Dann sammelte er sich, gab sich Mühe und schaute Bruder Pongus in das breite, aber nicht unfreundliche Gesicht. „Vielen Dank, meine Herren.“ gab er von sich, nickte ihnen kurz zu. Für ein Quäntchen des Augenblicks glaubte er, dass Shanahan absichtlich zögerte, bis er und sein Begleiter sich zum Kloster aufmachten, nur um zu sehen, ob Cyril bei dem Anblick einknickte.
In seinem Kopf war alles wirr und sein Magen fühlte sich verdächtig schwer an. Mühsam atmete er tief ein und aus, ein – und aus, ein – und aus. Perplex blinzelte er hinauf zu Richard, als dieser ihn nach dem Namen seines Kutschers fragte. Für einen Moment schien ihm diese Frage zu absurd, als dass er direkt darauf antworten konnte. „Adam Doyle.“ sagte er schließlich und wich dem Blick des Mönches aus, starrte an die Stelle, an der eben noch Bruder Shanahan und Bruder Pongus gestanden hatten. „Sein Vater hat schon für meine Familie gearbeitet. Adam war nur unwesentlich älter als ich. Früher hat er manchmal mit uns Cecil-Kindern im Anwesen verstecken gespielt.“ es waren die wenigen Informationen, die ihm sofort greifbar gewesen und daher verbalisiert werden konnten. Er hatte keine allzu enge Bindung zu Adam gehabt. „Er hat mich und meine Schwester oft auf die Feierlichkeiten gefahren, die zu spät abends stattfanden, dass sein Vater noch geweckt werden sollte. Er ist pflichtbewusst und treu.... gewesen.“ gab Cyril leise von sich. Dennoch war er nicht den Tränen nah, obgleich eine gewisse Bestürzung in seinem Blick lag. Worauf sich diese jedoch bezog, konnte keiner so recht sagen. „Es ist immer bestürzend, wenn solch ehrliche Leute sterben.“ er tippte der Gepflogenheit halber an die Krampe seines Zylinders „Gott hab' ihn selig.“ fügte er hinzu und räusperte sich, zupfte an seinem Mantel herum.
Wie auf Kommando richtete sich der Adelige auf, straffte abermals die schmalen Schultern. Sie waren hier um Antworten zu finden, die vielleicht nur noch weitere Fragen aufwerfen würden. „Die Kutsche ist noch im selben Zustand, wie ich sie gestern verlassen habe.“ gab er seine Erkenntnisse an Richard weiter, warf einen prüfenden Blick auf den zerkratzten Lack, in dem sie sich spiegelten.
„Es zeugt also nichts von einem Überfall, einem Raub oder dergleichen...“
Cyril warf einen Blick zu Richard, seufzte. „Es sieht alles ganz normal aus. Also, wenn - „ er schüttelte den Kopf „Ihr wisst, was ich meine.“
Tatsächlich hatte er nicht einmal die leiseste Ahnung davon, was er erhoffte hier zu finden? Wonach sollte er Ausschau halten? Wie zeigte sich der Eingriff übernatürlicher Kräfte? Fanden sie womöglich ein schwarzes Pulver? Der Geruch von Schwefel? Pentagramme? Symbole aus Blut? All das, was sich in der profanen Literatur zu diesen Themen publik machen ließ?
„Richard, ich weiß nicht einmal, wonach ich suchen soll...“ gab Cyril kleinlaut zu, erhoffte sich Anleitung von dem Mönch. Immerhin schien er doch weitaus mehr Erfahrung damit zu haben, als er?
„Ich finde es nur merkwürdig, dass der Baum in die verkehrte Richtung gestürzt ist.“ gab Cyril zu Bedenken. Denn wenn man sich am Meer orientierte – und aus dieser Richtung preschte der Wind über das Land – dann machte es keinen Sinn, dass der Baum in die Richtung des Meeres gestürzt war, während er eigentlich von der Seite von der steil nach oben zunehmenden Küste und anderen Bäumen geschützt war.
„Ich meine -“ wandte sich von der Kutsche ab, ging in Richtung des beiseite geschobenen Baumes.
„Um Himmels Willen...“ entfuhr ihm und der junge Lord taumelte. Ihm war schlecht. Er presste die Hand auf die Lippen. Reflexartig griff er nach dem Mann an seiner Seite, wand das Gesicht abrupt ab. Seine Hand krallte sich in Richards Oberarm, er presste die Stirn gegen den kalten Habit. Der Ruck der Bewegung hatte ihm den Zylinder vom Kopf gehauen, sodass dieser in den Schnee purzelte.
Vor ihm lagen die Kadaver der erschlagenen Pferde. Der Baum hatte die Tiere erwischt. Sie lagen in einer Lache aus Blut, die sich in den weißen Schnee gefressen hatte. Als Bruder Pongus den Baum einfach beiseite geschoben hatte, waren die Tiere auch unter der Last und dem Druck entzwei gerissen, sodass sich jetzt Fell und Gedärme über die Straße zogen. Von den Tieren, die einst zwei reinrassige Ardenner gewesen waren, war nicht sonderlich viel mehr übrig als gebrochene Gliedmaßen, blutige Innereien und zerrissene Hautfetzen. Makaberer Weise hingen die Zügel immer noch an den Körperteilen....
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Pongy-Tongy

Pongy-Tongy


Anzahl der Beiträge : 13
Anmeldedatum : 28.06.16

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptySo 23 Okt 2016 - 1:36

Nachdem Shanahan und Pongus sich mit dem Leichnam von Adam Doyle entfernt hatten, wich die Anspannung etwas von Richard. Ohne Zweifel würden sie sich, nachdem sie den steif gefrorenen Körper abgeliefert hatten, auf direktem Wege zu Abt Nathaniel begeben um ihm Bericht zu erstatten. Er hatte die Befürchtung, dass sie ihm nicht recht geglaubt hatten, dass er und Cyril nur wegen des Gepäcks den Weg hinaus in das Schneegestöber gewagt hatten. Abt Nathaniel hatte sich sehr für Cyril interessiert, und es schien sich dabei um mehr zu handeln als seine normale Gier. Cyril war wichtig, dass wusste Richard genauso gut wie der Abt, auch wenn er nicht verstand, worin diese Wichtigkeit begründet lag. Er wusste nur, dass er Cyril nicht mit ihm teilen wollte.
„Also seht Ihr keine Beschädigungen am Fuhrwerk oder an der Karosserie, die nicht durch den fallenden Baum hervorgerufen worden sein können,“ hakte Richard nach. Er wusste ja selber nicht so genau, wonach sie hier eigentlich suchten. Er hoffte einfach, dass sie es erkennen würden, sobald sie es fanden. Er dachte zurück an den Moment, als er die Leichen von Frank Mitchell und dessen Familie aufgefunden hatte. Die Wohnung hatte keinerlei Einbruchsspuren oder sonstige Anzeichen von physischer Gewalteinwirkung aufgewiesen, zumindest konnte er sich nicht daran erinnen, dass ihm welche aufgefallen wären. Aber da er den Ort des Geschehens in panischer Flucht verlassen hatte, nachdem er des schwarzen Schemens ansichtig geworden war, konnte er sich nicht mehr mit Sicherheit an solche Details erinnern. Einzig der Anblick der blutüberströmten Körper war ihm unauslöschlich im Gedächtnis hängen geblieben. Dementsprechend druckste er auch einen Moment lang herum, als Cyril ihn fragte, wonach genau er denn Ausschau halten sollte.
„Hm, aber gibt es irgendetwas, das euch ungewöhnlich oder rätselhaft vorkommt. Irgendetwas, was nicht recht in das Gesamtbild zu passen scheint?“
Als Cyril nach kurzem Schweigen bemerkte, dass der Baum in die falsche Richtung gestürzt sei, wurde Richard hellhörig. Kurz dachte Richard nach, ob der Wind auch letzte Nacht vom Meer aus landeinwärts geblasen hatte. Als er sich noch einmal ins Gedächtnis rief, wie die Böen das Geräusch des Klopfens am Tor in seine Richtung getragen hatten, musste er sich eingestehen, dass Cyril wohl Recht hatte. Das war zumindest eine erste Spur.
„Also meint ihr, dass der Baum irgendeiner Form von Gewalteinwirkung ausgesetzt gewesen sein muss, damit er in diesem Winkel auf die Fahrbahn fallen würde...? Ihr habt Recht, das ist in der Tat interessant... Zumal der Zufall, dass dieser Baum gerade in dem Moment umstürzen sollte, in dem ein Fahrzeug über diese wenig benutzte Küstenstraße fährt, mehr als erstaunlich ist,“ sagte Richard, während er sich mit der Hand durch seinen Bart fuhr und den Baum nachdenklich musterte.
Cyril war gerade im Begriff, seinen Gedanken weiter auszuführen, als er einen Schritt in Richtung des von Bruder Pongus so mühelos beiseitegehievten Baumes machte und dann wie erstarrt stehen blieb. Richard sah, was Cyril so schockiert hatte. Die blutigen Kadaver der Pferde boten in der Tat einen abstoßenden Anblick. Als der junge Lord sich von Abscheu und Ekel gepeinigt abwandte und sein Gesicht in den Falten von Richard grünen Habit barg, erwischte sich der Mönch dabei, wie seine Hand auf Cyrils Rücken lag und diesen beruhigend streichelte. Er konnte sich gar nicht erinnern, sie dort hingelegt zu haben, doch als er sich dieser unangemessenen Vertraulichkeit gewahr wurde, ließ er die Hand sofort sinken und trat einen Schritt zurück.
„Es tut mir Leid, dass Ihr Euch diesem Anblick aussetzen musstet. Wenn es Euch damit besser geht, so wartet hier, während ich den Baum untersuche. Ihr könnt Euch schon einmal daran machen, Euer Gepäck zu lösen. Hier habt Ihr meinen Dolch, für den Fall, dass die Riemen zu steif gefroren sind und ihr sie zerschneiden müsst.“ Richard fühlte sich nicht wohl dabei, Cyril seine einzige Waffe zu übergeben, und wenn es nur für ein paar Minuten war. Gleichwohl wusste er, dass ihm dieser kleine Dolch, den er beim Stöbern in den Gewölben unterhalb des Klosters entdeckt und in vielen Stunden monotoner Arbeit im Geheimen geschärft hatte, ihm gegen das übernatürliche Böse, mit dem sie es hier zu tun hatten, kaum eine Hilfe sein würde. Die Klinge war kaum länger als Richards Hand, und doch gab ihm die Waffe ein Gefühl der Sicherheit, solange er sie verborgen in seinem Habit mitsichtrug.
Als Richard um den Baum herum schritt, schlug ihm der übelkeiterregende Geruch, der den aufgerissenen Pferdeleibern entströmte, entgegen. Anscheinend waren die Pferde noch nicht lange genug tot gewesen, als dass der Schnee ihre Eingeweide zum Erfrieren gebracht hätte. Was jedenfalls aus den aufgeplatzten Bäuchen der armen Tiere heraus wehte, erfüllte Richard mit Ekel.
Der junge Mönch zog den Kragen seines Gewandes höher, sodass er Nase und Mund bedeckte. Dies nahm dem Gestank zumindest ein wenig seiner fauligen Schärfe.
Tunlichst darauf bedacht, die toten Pferde nicht mehr als nötig anzusehen, inspizierte Richard den umgestürzten Baum. Er hatte als Stadtkind nie gelernt, Bäume zu bestimmen, aber er glaubte, dass es sich bei dem umgestürzten Exemplar um eine Linde handelte. Die Wurzeln, die mit aus der Erde gerissen worden waren, erschienen ihm fest und kraftvoll, und als er sich umblickte, sah er zahlreiche Bäume, die weitaus dürrer und schwächer aussahen als der Baum, der Cyrils Reise ein so jähes Ende gesetzt hatte. Doch so sehr er den Stamm auch inspizierte, er konnte keine Erklärung dafür finden, warum ausgerechnet dieser ausgesprochen große und schwere Baum auf die Straße gestürzt war. Keine Anzeichen von Gewalteinwirkung waren an dem Stamm zu entdecken, und auch das Erdreich rund um das Loch, dass der Wurzelballen hinterlassen hatte, sah vollkommen normal aus. Weder konnte er einen natürlichen Grund für das Umstürzen des Baumes finden, noch Hinweise darauf, dass irgendjemand oder irgendetwas den Unfall mutwillig herbeigeführt hatte.
Frustriert machte Richard kehrt. Dieser ganze Abstieg aus der Sicherheit der Klostermauern hier hinunter hatte ihnen keinerlei neue Erkenntnisse beschert.
Dann hielt er inne. Er lief zu den toten Pferden zurück, und so sehr es ihm auch widerstrebte, nahm er die Kadaver noch einmal genauer in Augenschein. Beide Tiere waren von dem Baum, der sie erschlagen hatte, übel zugerichtet worden und Bruder Pongus Grobheit beim Wegziehen des selbigen hatte die Körper nur noch schlimmer hingerichtet. Doch trotz all der abstoßenden Verletzungen, die die beiden toten Zugtiere aufwiesen, konnte Richard eines nicht entdecken: Bissspuren. Er hatte doch in der Nacht die Wölfe heulen gehört, die im Winter genauso oft Hunger litten wie alle anderen Kreaturen der Natur. Warum also hatten sie sich nicht um die toten Pferde versammelt um sich an dem noch warmen Fleisch gütlich zu tun? Mir ihrem scharfen Geruchssinn und dem landeinwärts wehenden Wind erschien es Richard gänzlich unmöglich, dass der Geruch der Pferde und des frisch vergossenen Blutes nicht an die Nase zumindest einzelner hungriger Wölfe getragen worden war. War irgendetwas hier gewesen, vor dem die Wölfe sich fürchteten?
Es war nur ein Indiz, aber der beste Gedanke, der Richard bisher gekommen war.
„Bitte wartet noch einen Augenblick auf mich, Cyril,“ rief er. „Ich möchte mir noch einmal die Umgebung genauer anschauen.“
Ein Stückchen weiter in nördliche Richtung wurde die Küstenstraße zu einer Art Hohlweg. Links und rechts der Fahrbahn erhoben sich schneebedeckte Hügel. Richard erklomm die Anhöhe zur Linken der Straße und ließ seinen Blick schweifen. Er kniff die Augen zusammen und studierte die Schneedecke Meter für Meter. Da die Sonne hinter den dunklen, schneetragenden Wolken verborgen war, blendete das makellose Weiß der Schneefläche ihn nicht, während er angestrengt Ausschau hielt. Er brauchte gar nicht lange zu suchen, da fand er, was er gesucht hatte. Pfotenabdrücke, die halb zugeschneit waren aber dennoch erkennbar in der für Wölfe charakteristischen schmalen Bahn verliefen, waren nur ein dutzend Meter weiter im Schnee zu erahnen. Die hungernden Raubtiere hatten also tatsächlich die Witterung der Pferde aufgenommen gehabt und waren sogar bis auf gut hundert Meter herangekommen. Doch irgendetwas musste sie davon abgehalten haben, sich der saftigen Mahlzeit weiter zu nähern. Was hatten die instinktgesteuerten Raubtiere wahrgenommen, dass ihm verborgen geblieben war.
Die Spuren der Wölfe, die vor irgendetwas zurückgewichen waren, stellten für Richard den ersten halbwegs greifbaren Hinweis dar, dass an diesem Ort etwas vorgefallen war, dass über einen bloßen unglücklichen Zufall weit hinausging. Richard schloss für einen Moment die Augen, atmete ruhig und horchte tief in sich hinein. Da war nichts, keine Resonanz, keine Vorahnung, kein klingelnder Gefahreninstinkt. Nur die formlose Beunruhigung, die seit dem Tag des Einbruchs an ihm nagte und noch zugenommen hatte, seit Cyril im Kloster Mosney angekommen war.
Cyril... ob er vielleicht von Nutzen sein konnte? Richard dachte angestrengt nach, während er zu der Kutsche und seinem Begleiter zurückstapfte. Er hatte in Leeds viele Geschichten von Menschen gehört, die vorgaben für andere als eine Art Brücke zwischen dieser Welt und dem Jenseits zu fungieren. Ob Cyril vielleicht solch ein spiritistisches Medium war? Immerhin hatte er ja scheinbar die Fähigkeit, das Schattending, dass Richard nach dem Leben trachtete, zu sehen, und war in der Lage, über die Narbe in Richards Gesicht auf seine Erinnerungen zuzugreifen und sie für sie beide sichtbar zu machen. Den Versuch zumindest schien es Richard daher wert zu sein.
Die Versuchung, für sein kleines Experiment zurück in Cyrils warme Kammer im Wohntrakt des Klosters zu gehen, war nur zu verlockend, denn Richard fror mittlerweile bitterlich. Doch genauso wusste er, dass es wenn überhaupt hier draußen funktionieren würde. Wenn das, was den Baum zum Umstürzen gebracht hatte, irgendeine Form von transzendentem Echo hinterlassen hatte, dann konnte Richard sich nicht vorstellen, dass dieses Echo auch aus der Ferne zu entdecken sein würde.
Als er an der verunglückten Kutsche ankam, berichtete er Cyril in knappen Worten von dem, was er entdeckt hatte. Dass die Wölfe hier scheinbar irgendetwas gespürt hatten, vor dem sie Angst gehabt hatten. Dann unterbreitete er dem jungen Lord seinen Vorschlag: „Cyril, ich weiß, dass das verrückt klingt, aber angesichts unserer bisherigen Erfahrungen würde ich Euch gerne bitten, zu versuchen, dass, was Ihr mit meiner Narbe getan habt, hier zu wiederholen. Versucht, einen Blick auf die Vergangenheit zu werfen und sagt mir, was ihr seht. Ich weiß, dass der Moment, in dem Ihr in meine Erinnerung eingetaucht war, nicht besonders angenehm für Euch war, und doch bitte ich Euch inständig, Euch auf diesen Versuch einzulassen. Ich verspreche Euch, dass ich bei Euch bleiben werde,um über Euch zu wachen. Ich werde Euch sogar mein Kruzifix geben, damit es über Euch beschützt.“
Richard war von einem plötzlichen Eifer gepackt. Endlich würde er womöglich einen Schritt weiterkommen! Er wartete Cyrils Antwort erst gar nicht ab, sondern öffnete die Tür zur Passagierkabine der Kutsche und deutete auf das Innere. Die Kutsche schien sehr gut verarbeitet zu sein. Dort drinnen würden sie zumindest vor dem beißenden Wind geschützt sein. „Cyril, würdet Ihr wohl einmal versuchen, Euch mit mir in die kutsche zu setzen und mit Eurer Hand das Holz der Kutsche zu berühren, so, wie Ihr es mit meinem Gesicht getan habt? Es klingt verrückt, ich weiß. Aber vielleicht könnt Ihr auf diese Weise in die Erinnerung der Kutsche eintauchen, so wie Ihr zuvor in meine Erinnerung eingetaucht seid...“
Nach oben Nach unten
Rex Dei
Admin
Rex Dei


Anzahl der Beiträge : 86
Anmeldedatum : 26.11.10
Alter : 28
Ort : Im Palast der Nichtigen

Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  EmptyMo 31 Okt 2016 - 13:12

Er war noch nicht gänzlich wieder Herr seiner Sinne, aber der kalte, grobe Stoff der Kutte, gab ihm etwas tröstlich Vertrautes, weil es ihn daran erinnerte, dass dies alles tatsächlich war und nicht nur einer Entrückung entstammte. Es war schließlich Mode, sich mit all diesen Bewusstseinserweiterungen zu beschäftigen, die man entweder trank oder inhalierte, weil einem diese viel zu laut gewordene Industrialisierung der althergebrachten Formen und Normen zu arg zusetzte. Aber nein, es war kein Besuch dieser dubiosen Opiumhöhlen oder Clubs vorausgegangen. All das war die Realität, kratzig, kalt und brutal. Der leichte Druck auf seinem Rücken, als Richard auf seine abrupte Schwäche reagierte, fühlte sich gut an, gab ihm die Momente, um sich geborgen zu fühlen. Sein eigener warmer Atem perlte ihm entgegen, langsam öffnete er die panisch zusammen gekniffenen Augen, blinzelte gegen die Brust des Mönches. Zäh tropfte das Bewusstsein zurück in den blonden Schopf, sodass er sich und seiner aktuellen Position zunehmend gewahr wurde. Da dieser kurze, heftige Moment emotionaler Gefangenschaft abflaute, schien nicht nur er selbst zu erkennen, wie ungebührlich er sich zeigte. Richard nahm seine Hand so schleunig fort, sodass das gerade Geschehene umso peinlicher und schamhafter zwischen ihnen stand. Als der Mönch einen Schritt zurückschreckte, nutzte Cyril die wiedererlangte Souveränität dazu sich verlegen zu räuspern und tief durch zu atmen. Was war da nur mit ihm durchgegangen?
Überrascht davon, dass Richard so schnell Worte gefunden hatte, um eine womögliche drückende Stille vorzubeugen, hob der Adelsspross das Kinn und lauschte. Die Worte sickerten schleppend in Cyrils Geist und er hob verwunderte eine seiner schlanken Augenbrauen, als er den Dolch erkannte, den man ihm darbot. Er war sich ziemlich sicher, dass es einem Mönch verboten war, eine solche Waffe bei sich zu tragen. Insbesondere, wenn er im Kloster diente und nicht in der heidnischen Ferne missionierte? „Oh-“ gab er unschlüssig von sich, streckte seine behandschuhte Rechte danach aus „Vielen Dank.“ Er entnahm dem Mönch die hingehaltene Waffe, die er dafür verwenden sollte im Zweifelsfalle die Riemen für das Gepäck durchzuschneiden. Mit einem inneren Misstrauen inspizierte er die Waffe, die er lediglich als ein Werkzeug verstehen sollte. Würde sie wirklich notwendig werden? Waren sie beide tatsächlich so sehr in Gefahr, dass es klug war, sich zu bewaffnen? Er schluckte. „Richard?“ erhob er seine Stimme, als sich der Mönch aufmachte den Baum zu untersuchen. „Seid bitte vorsichtig.“ es war eine Bitte, die Cyril ernst meinte. Denn niemand konnte sagen, was auf sie wartete, vielleicht irgendwo hier lauerte. Er nickte leicht, dann lächelte er. Insgeheim war er wirklich sehr erleichtert über Richards Vorschlag sich den Baum allein anzusehen. Ein weiterer Blick auf die Pferde genügte, um ihm sein spärliches Frühstück unangenehm in Erinnerung zu rufen. Er schüttelte den aufkommenden Ekel halbherzig ab, steckte den Dolch in seine Manteltasche und beugte sich vornüber, um seinen Zylinder aufzuheben. Abwesend klopfte er den Schnee von dem schwarzen Stoff und drapierte die Kopfbedeckung zurück an ihren angestammten Platz auf seinem Kopf.
Nur wenige Schritte später stand er erneut am Heck der Kutsche, betrachtete nachdenklich die schweren Koffer, die unverändert in ihrer Position gehalten, beinahe friedlich wirkten. Seit dem er gestern unwillkürlich hier gelandet war, staute sich all das zu einer unüberschaubar abstrusen Situation! Sein bisheriges wohlbehütetes Leben, welches ihm so weltgewandt, elegant und klassisch vorgekommen war, stellte sich als völlig unbrauchbar heraus, wenn er versuchte in all diesem Chaos Fuß zu fassen. Er seufzte schwer. Wie es wohl seiner Familie ging? Doch noch ehe er diesem Gedanken ernsthaft nachgehen konnte, verwarf er ihn wieder. Es würde ihm auch nichts bringen. Gottseidank ließen sich die Riemen ohne größere Anstrengungen aus den Schnallen lösen, sodass er den Dolch nicht ansetzten brauchte. Das war vermutlich auch besser so. Am Ende hätte er womöglich nur irgendetwas vollkommen falsch gemacht. Cyril richtete sich auf, drückte die Schultern durch und war bereit sich ans Werk zu machen. Da er noch ungefähr wusste, in welchen Koffer er was hatte packen lassen, griff er nach dem mit seinen persönlichen Sachen. Der Holzkoffer war schwer und als er an dem Griff zog, wollte er sich kein Stück bewegen. Die Koffer die allesamt darüber gestapelt waren, wankten ein wenig unter dem spontanen Ruck. Cyril presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen, setzte beide Hände an den Griff, stemmte ein Bein gegen die Karosserie der Kutsche, sammelte seine Kräfte und zog.
Mit einem Ruck gab der Koffer schließlich nach, rutschte von dem Brett, auf dem er gestanden hatte und riss alle anderen Gepäckstücke mit sich. Cyril plumpste nach hinten, wurde halb von seinem Koffer begraben, konnte sich jedoch glücklich schätzen, dass das übrige Gepäck neben ihm in den Schnee stürzte und ihn nicht unter sich begrub. In erster Linie schockiert rappelte sich der schmale Adelige wieder hoch, klopfte den Schnee von sich ab und begutachtete, das Durcheinander, dass er angerichtet hatte. Es gab einen guten Grund, warum man sonst Dienern diese gefährliche Aufgabe überantwortete. Niemals hätte er geglaubt, dass Gepäckabladen derart unfallträchtig sein könne, doch offenbar schien gerade hier unterhalb der Klostermauern alles gefährlich zu sein.
Kopfschüttelnd trat Cyril zurück an die Stelle, wo ihn Bruder Richard verlassen hatte. Ohne es wirklich zu wollen ließ er abermals seinen Blick über die blutige Szenerie schweifen, suchte den Rothaarigen. Richard stapfte ihm gerade entgegen. Offenbar hatte er sich ein wenig die Straße entlang mit der Umgebung auseinander gesetzt. Ob er wohl etwas gefunden hatte? Von hier aus sah der umgestürzte Baum zwar sehr unglücklich, aber nicht außergewöhnlich aus. Aber dass es sich doch nur um einen schrecklichen Zufall handeln mochte, widersprach dieser immer stärker werdenden Ahnung, der er sich unfassbar bewusst war, ohne zu wissen, woher sie überhaupt stammte.
Sobald der Mönch ihn erreicht hatte, berichtete er von dem außerordentlich unerklärlichen Verhalten, dass die Wölfe gezeigt hatten, wenn man ihre Spuren las. Das war wirklich ungewöhnlich. Dem konnte selbst Cyril zustimmen, dessen Erfahrung und Wissen über Wölfe reinweg theoretischer und narrativer Natur war. Und er erinnerte sich noch klar an das widerliche Gefühl, dass ihm über die Haut gejagt war, als das Wolfsgeheul in der Nacht zum Mond gerichtet worden war.
„So verrückt finde ich Eure Idee überhaupt nicht.“ gab Cyril zustimmend von sich und versuchte eine Reaktion in dem Gesicht des anderen Mannes abzulesen. Er wusste zwar nicht wie er es geschafft hatte, in Richards Geist einzudringen, aber alles war mit der Berührung der Narbe verbunden gewesen. Vielleicht würde es ja auch hier funktionieren? Der Unfall, den die Kutsche erlitten hatte, war so mysteriös und zweifelhaft, dass selbst Cyril zunehmend daran dachte, die Erklärung nicht in der stofflichen Welt zu finden. Was, wenn Geister und übersinnliche Mächte tatsächlich existierten? Ihre Finger im Spiel hatten? Die dunklen Bilder waren sofort verschwunden, als Richard ihn fortgestoßen hatte, im Zweifelsfalle würde es sich mit der Kutsche sicherlich ähnlich verhalten. Oder nicht?
Der Blonde folgte der Geste und kletterte durch die ihm offen gehaltene Tür in das Innere der Kutsche. Es war nicht ganz so kalt wie draußen und die dicken Polster versprachen wenigstens ein gewisses Maß an Gemütlichkeit und Komfort. Interessanterweise leuchtete sogar die kleine Petroleumlaterne noch. Es war also wirklich niemand hier gewesen. Als Richard die Tür hinter sich schloss und sich ihm gegenübersetzte, suchte er den Blick des anderen.
„Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, in Euren Geist zu dringen, Richard.“ murmelte er ein leise. „Aber ich weiß, dass die Verbindung abbrach, als Ihr mich fortstießt.“ er schluckte und zog den Handschuh von seinen Fingern. „Ich weiß nicht, was mich erwartet, aber wenn etwas passiert, müsst ihr dafür sorgen, dass der Kontakt abgebrochen wird, verstanden?“
Cyril legte die Hand auf das kalte Holz der Verkleidung. Er atmete leise ein und wieder aus, wappnete sich auf die Flut der Bilder, die in seinen Geist preschen würden. Doch nichts dergleichen geschah.
Cyrils Stirn runzelte sich. Das war merkwürdig. „Es funktioniert nicht.“ murmelte er und schaute Richard ratlos an. „Ich will es nochmal versuchen. Bitte seid still.“
Beherrscht atmete er einige Male durch, zwang sich zur Ruhe, lehnte sich zurück in das weiche Kissen der Sitzbank, schloss die Augen. Sein Kopf schien völlig leer, dann konzentrierte er sich, legte behutsam die Hand auf das Holz, ließ sie ganz langsam darüber streichen. Er fühlte das glatte Holz, die leichten Kerben von der Benutzung, die Kälte die es ausstrahlte. Er fokussierte die Kutsche, versuchte alles andere auszublenden. Sein Herz schlug langsam, seine Hand glitt weiter und dann öffnete er erneut die Augen.
Er blickte Bruder Richard an, Enttäuschung lag in seinem Blick. „Es funktioniert nicht.“ gab er mürrisch von sich. Ein verletztes Lächeln kletterte in sein eben noch so entspanntes Gesicht. Er schnalzte mit der Zunge. „Es klappt nicht! Ich sehe rein gar nichts!“ Zur Demonstration drückte er seine Hand überall auf Holz, aber nichts wollte helfen.
„Von wegen, ich bin was Besonderes.“ schnaubte er abfällig „Das ist alles nur Hokuspokus und fauler Trickzauber!“
„Wie soll ich auch etwas sehen?“ er funkelte Bruder Richard in einem spontanen Anfall allgemeinen Ärgers an „Wie? Wie soll ich Erinnerungen sehen, von etwas, was überhaupt keine Erinnerung haben kann?!“
Mehr enttäuscht von sich selbst, als tatsächlich wütend auf die Situation, riss er die Tür der Kabine erneut auf und stampfte nach draußen.
„Eure Idee war verrückt!“ echauffierte er sich. „Das ist nichts weiter als totes Holz! Wie soll ich mit etwas eine Verbindung aufbauen, was überhaupt niemals gelebt hat? Das ist rein biologisch doch überhaupt nicht möglich.“
Er verschränkte die Arme vor der Brust „Oder haben die Bäume in Eurer Geisterwelt jetzt auch schon Augen?“
Nach oben Nach unten
https://tagebuch-der-goetter.forumieren.net
Gesponserte Inhalte





Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty
BeitragThema: Re: Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)    Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)  Empty

Nach oben Nach unten
 
Bruderschaft der Arbeitstitel (Leon & Cedric)
Nach oben 
Seite 1 von 2Gehe zu Seite : 1, 2  Weiter

Befugnisse in diesem ForumSie können in diesem Forum nicht antworten
Tagebuch der Götter :: Spielplan göttlicher Tragödien :: Privi's-
Gehe zu: